Herfried Münkler
dienendes Glied gegenüber den Vorgaben der Politik sahen.4 Für Ritter war, will
man es pointieren, Militarismus ein Organisationsproblem der Politik und damit
insbesondere des Staates.
Fritz Fischers Angriff auf die Ritter’sche Hegemonie lief darauf hinaus, dass
er ein sehr viel weiter gefasstes Verständnis von Militarismus ins Spiel brachte,
und diesen Militarismus begriff er als typisch für den deutschen Weg in die Mo-
derne, nämlich die Entstehung eines Amalgams aus Militär und Schwerindust-
rie, die den Krieg als ein Mittel zur Eroberung von Märkten und rohstoffreichen
Gebieten ansahen und denen mit einer konsequenteren Unterstellung des Mili-
tärs unter die Direktionsgewalt der Politik, wie Ritter sich das im Anschluss an
Clausewitz5 vorstellte, nicht beizukommen war, weil die Politik, so Fischer, bis in
ihren innersten Kern hinein selbst militaristisch war. Die deutschen Eliten muss-
ten ausgetauscht, zumindest ihr Zugriff auf die Machtmittel des Staates musste
radikal begrenzt werden, um zu verhindern, dass sich dieser militaristische Geist
noch einmal durchsetzte und das Land in einen weiteren Krieg stürzte. So Fritz
Fischer.
Und Peter Graf Kielmansegg, um den es hier und heute geht? 1968, also
einige Zeit nach der zwischen Ritter und Fischer und ihren jeweiligen Anhän-
gern ausgetragenen Kontroverse, veröffentlichte er ein Buch über den Ersten
Weltkrieg - „Deutschland und der Erste Weltkrieg“ -, das sich, wie ich fand, als
ich es vor einigen Jahren gelesen habe, in einer bemerkenswerten Gelassenheit
mit dem zuvor so heftig umstrittenen Thema beschäftigte.6 Wer sich das Buch
genauer anschaut, kann bemerken, dass der Schwerpunkt seiner Fragestellung
weder auf der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs liegt noch auf dessen Nachge-
schichte, also dem Weg zum Friedensvertrag von Versailles und dessen Aufnahme
in Deutschland, sondern dass es Kielmansegg um die Politik des Reichskanzlers
Theobald von Bethmann Hollweg geht, der zwischen den unterschiedlichen po-
litischen Gruppierungen im Innern des Reichs, der Konfrontation mit den äu-
ßeren Feinden, den Vorgaben und Eiwartungen des Generalstabs und einem seit
4 In diesem Sinne auch die wohl gründlichste Darstellung einer Geschichte des Militarismus:
Alfred Vagts, A History of Militarism. Civilian and Military [1937], New York 1959. Von diesem
mit Blick auf das politisch-administrative System definierten Militarismus ist der Militarismus
als individuelle Einstellung und gesellschaftliche Disposition zu unterscheiden; vgl. dazu für
die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Thomas Rohkrämer, „Der Gesinnungsmilitarismus der
»kleinen Leute« im Deutschen Kaiserreich“; in: Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen
Mannes. Eine Militärgeschichte non unten, München/Zürich 1992, S. 95-109.
5 Clausewitz1 Formel vom Krieg als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ enthält im-
plizit die Forderung einer Unterstellung der Kriegführung unter die Vorgaben der Politik.
Clausewitz hat das explizit gemacht, als er davon sprach, der Krieg habe zwar seine „eigene
Grammatik“, nicht aber seine „eigene Logik“ (Wm Kriege, hrsg. von Werner Hahlweg, Bonn
1980, S. 210 und 991); vgl. dazu auch die Beiträge in Günter Dill (Hg.), Clauswitz in Perspekti-
ve, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1980.
6 Peter Graf Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, Frankfurt am Main 1968.
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dienendes Glied gegenüber den Vorgaben der Politik sahen.4 Für Ritter war, will
man es pointieren, Militarismus ein Organisationsproblem der Politik und damit
insbesondere des Staates.
Fritz Fischers Angriff auf die Ritter’sche Hegemonie lief darauf hinaus, dass
er ein sehr viel weiter gefasstes Verständnis von Militarismus ins Spiel brachte,
und diesen Militarismus begriff er als typisch für den deutschen Weg in die Mo-
derne, nämlich die Entstehung eines Amalgams aus Militär und Schwerindust-
rie, die den Krieg als ein Mittel zur Eroberung von Märkten und rohstoffreichen
Gebieten ansahen und denen mit einer konsequenteren Unterstellung des Mili-
tärs unter die Direktionsgewalt der Politik, wie Ritter sich das im Anschluss an
Clausewitz5 vorstellte, nicht beizukommen war, weil die Politik, so Fischer, bis in
ihren innersten Kern hinein selbst militaristisch war. Die deutschen Eliten muss-
ten ausgetauscht, zumindest ihr Zugriff auf die Machtmittel des Staates musste
radikal begrenzt werden, um zu verhindern, dass sich dieser militaristische Geist
noch einmal durchsetzte und das Land in einen weiteren Krieg stürzte. So Fritz
Fischer.
Und Peter Graf Kielmansegg, um den es hier und heute geht? 1968, also
einige Zeit nach der zwischen Ritter und Fischer und ihren jeweiligen Anhän-
gern ausgetragenen Kontroverse, veröffentlichte er ein Buch über den Ersten
Weltkrieg - „Deutschland und der Erste Weltkrieg“ -, das sich, wie ich fand, als
ich es vor einigen Jahren gelesen habe, in einer bemerkenswerten Gelassenheit
mit dem zuvor so heftig umstrittenen Thema beschäftigte.6 Wer sich das Buch
genauer anschaut, kann bemerken, dass der Schwerpunkt seiner Fragestellung
weder auf der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs liegt noch auf dessen Nachge-
schichte, also dem Weg zum Friedensvertrag von Versailles und dessen Aufnahme
in Deutschland, sondern dass es Kielmansegg um die Politik des Reichskanzlers
Theobald von Bethmann Hollweg geht, der zwischen den unterschiedlichen po-
litischen Gruppierungen im Innern des Reichs, der Konfrontation mit den äu-
ßeren Feinden, den Vorgaben und Eiwartungen des Generalstabs und einem seit
4 In diesem Sinne auch die wohl gründlichste Darstellung einer Geschichte des Militarismus:
Alfred Vagts, A History of Militarism. Civilian and Military [1937], New York 1959. Von diesem
mit Blick auf das politisch-administrative System definierten Militarismus ist der Militarismus
als individuelle Einstellung und gesellschaftliche Disposition zu unterscheiden; vgl. dazu für
die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Thomas Rohkrämer, „Der Gesinnungsmilitarismus der
»kleinen Leute« im Deutschen Kaiserreich“; in: Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen
Mannes. Eine Militärgeschichte non unten, München/Zürich 1992, S. 95-109.
5 Clausewitz1 Formel vom Krieg als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ enthält im-
plizit die Forderung einer Unterstellung der Kriegführung unter die Vorgaben der Politik.
Clausewitz hat das explizit gemacht, als er davon sprach, der Krieg habe zwar seine „eigene
Grammatik“, nicht aber seine „eigene Logik“ (Wm Kriege, hrsg. von Werner Hahlweg, Bonn
1980, S. 210 und 991); vgl. dazu auch die Beiträge in Günter Dill (Hg.), Clauswitz in Perspekti-
ve, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1980.
6 Peter Graf Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, Frankfurt am Main 1968.
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