II. Wissenschaftliche Vorträge
dem zweiten Kriegsjahr und den wachsenden Gefallenenzahlen aufkommenden
Friedenswunsch in Teilen der Bevölkerung nach einem politischen Ansatz suchte,
mit dem er die politische Initiative zurückgewinnen konnte.7 Wie kam man aus
dem Krieg wieder heraus?
Das jedenfalls sind die Teile des Kielmansegg’schen Buches, die mich selbst
am meisten beeindruckt haben, die mir demgemäß auch am stärksten präsent
sind und in denen ich so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal von Kielmanseggs
Buches gegenüber anderen Darstellungen des Ersten Weltkriegs sehe. Für Beth-
mann war klar, dass der Krieg nach dem Scheitern des Schlieffenplans und dem
erfolglosen „Wettlauf zum Meer“ im Herbst 1914 militärisch nicht mehr zu ge-
winnen war, dass man ihn also politisch beenden musste und dass es dabei darum
ging, zum Status quo ante zurückzukehren. Er wusste aber auch, dass die großen
Mächte unter den Gegnern, Russland, Großbritannien und Frankreich, sich in
Anbetracht ihrer materiellen Überlegenheit gegenüber den Mittelmächten auf
ein Remis nur dann einlassen würden, wenn sie schwere militärische Niederla-
gen hinnehmen mussten. Dann, so das Kalkül Bethmanns, würden sie bereit sein,
den Krieg, dessen Weiterführung ihnen viel zu viel abverlangen würde, politisch
zu beenden und sich auf ein entsprechendes Angebot von Seiten der Mittelmäch-
te einzulassen.8
Das war die Linie, die Bethmann Hollweg und Falkenhayn, der Chef der
2. Obersten Heeresleitung, miteinander verabredet hatten. Sie hatten dabei indes
ein Problem, denn je mehr den deutschen Heeren die Umsetzung dessen gelang
- was vor allem 1915 mit den großen Siegen über Russland der Fall war9 -, desto
größer wurde das politische Drängen von Teilen der Bevölkerung, diese militäri-
schen Erfolge auch in einen Sieg-Frieden umzusetzen und sich nicht mit einem
Verhandlungs-Frieden abspeisen zu lassen, bei dem die „Siege der Soldaten“ von
den Politikern verspielt wurden, wie das in politisch rechten Kreisen hieß, die zu-
nehmend gegen Bethmann Hollweg und seine Politik mobil machten.10 Das wa-
ren die Konstellationen, die dann den Debatten der Weimarer Republik zugrunde
lagen und die sich zu einer für die Republik nicht zu bewältigenden politischen
Hypothek auswuchsen.
Man kann also sagen, dass Kielmanseggs Herangehensweise an die Frage,
welche Folgen der Erste Weltkrieg für den weiteren Verlauf der deutschen Ge-
schichte hatte, sehr viel subtiler war als der Problemaufriss des vorangegangenen
ersten Historikerstreits in der Bunderepublik Deutschland. Das entsprach, wie mir
scheint, dem Temperament des heute zu Ehrenden. Was sich an der Fragestellung
7 Ebd., S. 129 ff., 219 ff, 243 ff und 330 ff.
8 Vgl. auch Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt von 1914-1918, Berlin 2013, S. 289 ff,
403 ff. und 619 ff
9 Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S. 78 ff; Münkler, Der große Krieg, S. 342 ff
10 Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S. 211 ff und 219 ff.
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dem zweiten Kriegsjahr und den wachsenden Gefallenenzahlen aufkommenden
Friedenswunsch in Teilen der Bevölkerung nach einem politischen Ansatz suchte,
mit dem er die politische Initiative zurückgewinnen konnte.7 Wie kam man aus
dem Krieg wieder heraus?
Das jedenfalls sind die Teile des Kielmansegg’schen Buches, die mich selbst
am meisten beeindruckt haben, die mir demgemäß auch am stärksten präsent
sind und in denen ich so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal von Kielmanseggs
Buches gegenüber anderen Darstellungen des Ersten Weltkriegs sehe. Für Beth-
mann war klar, dass der Krieg nach dem Scheitern des Schlieffenplans und dem
erfolglosen „Wettlauf zum Meer“ im Herbst 1914 militärisch nicht mehr zu ge-
winnen war, dass man ihn also politisch beenden musste und dass es dabei darum
ging, zum Status quo ante zurückzukehren. Er wusste aber auch, dass die großen
Mächte unter den Gegnern, Russland, Großbritannien und Frankreich, sich in
Anbetracht ihrer materiellen Überlegenheit gegenüber den Mittelmächten auf
ein Remis nur dann einlassen würden, wenn sie schwere militärische Niederla-
gen hinnehmen mussten. Dann, so das Kalkül Bethmanns, würden sie bereit sein,
den Krieg, dessen Weiterführung ihnen viel zu viel abverlangen würde, politisch
zu beenden und sich auf ein entsprechendes Angebot von Seiten der Mittelmäch-
te einzulassen.8
Das war die Linie, die Bethmann Hollweg und Falkenhayn, der Chef der
2. Obersten Heeresleitung, miteinander verabredet hatten. Sie hatten dabei indes
ein Problem, denn je mehr den deutschen Heeren die Umsetzung dessen gelang
- was vor allem 1915 mit den großen Siegen über Russland der Fall war9 -, desto
größer wurde das politische Drängen von Teilen der Bevölkerung, diese militäri-
schen Erfolge auch in einen Sieg-Frieden umzusetzen und sich nicht mit einem
Verhandlungs-Frieden abspeisen zu lassen, bei dem die „Siege der Soldaten“ von
den Politikern verspielt wurden, wie das in politisch rechten Kreisen hieß, die zu-
nehmend gegen Bethmann Hollweg und seine Politik mobil machten.10 Das wa-
ren die Konstellationen, die dann den Debatten der Weimarer Republik zugrunde
lagen und die sich zu einer für die Republik nicht zu bewältigenden politischen
Hypothek auswuchsen.
Man kann also sagen, dass Kielmanseggs Herangehensweise an die Frage,
welche Folgen der Erste Weltkrieg für den weiteren Verlauf der deutschen Ge-
schichte hatte, sehr viel subtiler war als der Problemaufriss des vorangegangenen
ersten Historikerstreits in der Bunderepublik Deutschland. Das entsprach, wie mir
scheint, dem Temperament des heute zu Ehrenden. Was sich an der Fragestellung
7 Ebd., S. 129 ff., 219 ff, 243 ff und 330 ff.
8 Vgl. auch Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt von 1914-1918, Berlin 2013, S. 289 ff,
403 ff. und 619 ff
9 Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S. 78 ff; Münkler, Der große Krieg, S. 342 ff
10 Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, S. 211 ff und 219 ff.
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