II. Wissenschaftliche Vorträge
des Zirkels“ verstehen gelernt, worin die Vorzugswürdigkeit der repräsentativen
Demokratie liegt: dass Demokratie nicht als Realisierung von Selbstbestimmung
zu verstehen ist, sondern Mitbestimmung heißt, im Sinne des gleichen Rechts auf
Regelung der öffentlichen Angelegenheiten und dass sich dieses Recht ganz we-
sentlich in dem Zusammenspiel von demokratisch gewählten Amtsinhabern und
Repräsentierten realisiert.3
Das Prinzip der Volkssouveränität bietet jedenfalls, wie Kielmansegg gezeigt
hat, eine unzulängliche Antwort auf die Frage nach der Legitimitätsdoktrin der
Demokratie, wenn man sie denn als Transformation individueller Selbstbestim-
mung in ein Kollektivsubjekt deutet. Die Anhänger der identitären Demokratie
befinden sich hier in einer denkwürdigen Übereinstimmung mit den zeitgenös-
sischen populistischen Bewegungen. Beide Richtungen wollen nicht wahrhaben,
dass im demokratischen Verfassungsstaat als komplexe Ordnung gerade Differenz
institutionalisiert ist, die „an die Stelle des einen, mit sich selbst einigen Volkes die
Anerkennung der Vielheit der Gruppen, der Weltanschauungen und der Interes-
sen setzt, in die das eine Volk sich gliedert“, wie Peter Graf Kielmansegg jüngst
in seinem bevorzugten Publikationsorgan für Essays zur Analyse des Populismus
ausgeführt hat.4
Kielmansegg hat auch auf die Grenzen dieser Ordnung aufmerksam gemacht:
beispielsweise die Grenzen der Problemlösungsfähigkeit, die mit den Funktionsbe-
dingungen der Wettbewerbsdemokratie einhergehen, mit ihrer strukturellen Pri-
vilegierung von kurzfristigen gegenüber langfristigen und allgemeinen Interessen
wie denen des Umweltschutzes.5 Er hat auch sehr grundsätzlich auf die Grenzen
der Freiheitsgarantie von Institutionen hingewiesen, wenn diese nicht von Perso-
nen gestaltet werden, die ein Bewusstsein ihres Amtes haben und entsprechend
der ethischen Verpflichtung die ihnen das Amt auferlegt, handeln - Demokratie
braucht Tugenden, wie es in dem Gemeinsamen Wort von EKD und Bischofskon-
ferenz heißt, dessen Mitautor er gewesen ist, und gerade die Repräsentanten be-
dürften eines Ethos der Wahrhaftigkeit, der Ernsthaftigkeit und des Mutes.6 Auch
wenn er also keinen Zweifel an der vergleichsweise normativen Überlegenheit des
demokratischen Verfassungsstaats aufkommen lässt, so heißt dies für ihn anderer-
3 Peter Graf Kielmansegg: Die Quadratur des Zirkels. Überlegungen zum Charakter der reprä-
sentativen Demokratie, in: Ulrich Matz (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen der repräsenta-
tiven Demokratie, Köln u. a. 1985, S. 9-42.
4 Peter Graf Kielmansegg: Populismus ohne Grenzen, in: FAZ v. 13.02.2017, siehe auch ders.:
Demokratie braucht Grenzen, in: FAZ v. 23.06.2016 (http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-
und-recht/gastbeitrag-integration-demokratie-braucht-grenzen-14302586.html).
5 Peter Graf Kielmansegg: Die Kehrseite der Wettbewerbsdemokratie: Das Beispiel Umwelt-
schutz, in: ders., Nachdenken über die Demokratie, Stuttgart 1980, S. 69-92.
6 „Demokratie braucht Tugenden“, Gemeinsames Wort zur Demokratie des Rates der EKD und
der DBK zur Zukunft des demokratischen Gemeinwesens, 2006, S. 26 (https://www.ekd.de/
ekd_de/ds_doc/GT_19 Druckfassung_061108.pdf).
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des Zirkels“ verstehen gelernt, worin die Vorzugswürdigkeit der repräsentativen
Demokratie liegt: dass Demokratie nicht als Realisierung von Selbstbestimmung
zu verstehen ist, sondern Mitbestimmung heißt, im Sinne des gleichen Rechts auf
Regelung der öffentlichen Angelegenheiten und dass sich dieses Recht ganz we-
sentlich in dem Zusammenspiel von demokratisch gewählten Amtsinhabern und
Repräsentierten realisiert.3
Das Prinzip der Volkssouveränität bietet jedenfalls, wie Kielmansegg gezeigt
hat, eine unzulängliche Antwort auf die Frage nach der Legitimitätsdoktrin der
Demokratie, wenn man sie denn als Transformation individueller Selbstbestim-
mung in ein Kollektivsubjekt deutet. Die Anhänger der identitären Demokratie
befinden sich hier in einer denkwürdigen Übereinstimmung mit den zeitgenös-
sischen populistischen Bewegungen. Beide Richtungen wollen nicht wahrhaben,
dass im demokratischen Verfassungsstaat als komplexe Ordnung gerade Differenz
institutionalisiert ist, die „an die Stelle des einen, mit sich selbst einigen Volkes die
Anerkennung der Vielheit der Gruppen, der Weltanschauungen und der Interes-
sen setzt, in die das eine Volk sich gliedert“, wie Peter Graf Kielmansegg jüngst
in seinem bevorzugten Publikationsorgan für Essays zur Analyse des Populismus
ausgeführt hat.4
Kielmansegg hat auch auf die Grenzen dieser Ordnung aufmerksam gemacht:
beispielsweise die Grenzen der Problemlösungsfähigkeit, die mit den Funktionsbe-
dingungen der Wettbewerbsdemokratie einhergehen, mit ihrer strukturellen Pri-
vilegierung von kurzfristigen gegenüber langfristigen und allgemeinen Interessen
wie denen des Umweltschutzes.5 Er hat auch sehr grundsätzlich auf die Grenzen
der Freiheitsgarantie von Institutionen hingewiesen, wenn diese nicht von Perso-
nen gestaltet werden, die ein Bewusstsein ihres Amtes haben und entsprechend
der ethischen Verpflichtung die ihnen das Amt auferlegt, handeln - Demokratie
braucht Tugenden, wie es in dem Gemeinsamen Wort von EKD und Bischofskon-
ferenz heißt, dessen Mitautor er gewesen ist, und gerade die Repräsentanten be-
dürften eines Ethos der Wahrhaftigkeit, der Ernsthaftigkeit und des Mutes.6 Auch
wenn er also keinen Zweifel an der vergleichsweise normativen Überlegenheit des
demokratischen Verfassungsstaats aufkommen lässt, so heißt dies für ihn anderer-
3 Peter Graf Kielmansegg: Die Quadratur des Zirkels. Überlegungen zum Charakter der reprä-
sentativen Demokratie, in: Ulrich Matz (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen der repräsenta-
tiven Demokratie, Köln u. a. 1985, S. 9-42.
4 Peter Graf Kielmansegg: Populismus ohne Grenzen, in: FAZ v. 13.02.2017, siehe auch ders.:
Demokratie braucht Grenzen, in: FAZ v. 23.06.2016 (http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-
und-recht/gastbeitrag-integration-demokratie-braucht-grenzen-14302586.html).
5 Peter Graf Kielmansegg: Die Kehrseite der Wettbewerbsdemokratie: Das Beispiel Umwelt-
schutz, in: ders., Nachdenken über die Demokratie, Stuttgart 1980, S. 69-92.
6 „Demokratie braucht Tugenden“, Gemeinsames Wort zur Demokratie des Rates der EKD und
der DBK zur Zukunft des demokratischen Gemeinwesens, 2006, S. 26 (https://www.ekd.de/
ekd_de/ds_doc/GT_19 Druckfassung_061108.pdf).
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