Tine Stein
seits nicht, dass es nicht zugleich Grenzen dieser Ordnungsform zu gewärtigen
gibt - ja, dass es gerade gilt, die Grenzen des Legitimitätsanspruchs, die Grenzen
der Leistungsfähigkeit und die Grenzen der Reichweite des Handlungsanspruchs
zu beachten, um den demokratischen Verfassungsstaat als freiheitliche und demo-
kratische Ordnung erhalten zu können.
Das soll im Folgenden anhand der Flüchtlingskrise verdeutlicht werden, zu
der sich Graf Kielmansegg wie im Übrigen zu vielen anderen relevanten Themen
der Zeit als public intellectual mehrfach geäußert hat. Dazu soll zunächst einführend
die Spannung zwischen universalen Menschenrechten und partikularen Bürger-
rechten kurz gekennzeichnet werden.
1. Das Paradox
Es kommt ja nicht oft vor, dass eine radikale Forderung, die in dem geschützten
Raum der akademischen politischen Philosophie und Theorie geäußert wird, eine
Entsprechung in der politischen Praxis findet. Innerhalb eines Jahres sind rund
eine Million Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland eingereist, im Herbst
2015 waren es täglich mehrere tausende Menschen, die über faktisch offene Gren-
zen in die Bundesrepublik kamen. Eine Politik der offenen Grenzen entspricht
der Position des in Toronto lehrenden Politiktheoretiker Joseph Carens. Carens
argumentiert, dass die durch kontrollierte Staatsgrenzen bewirkte Exklusion von
Menschen, die in ein anderes Land einreisen und dort auch bleiben möchten,
nicht mit den Menschenrechten vereinbar sei.7 Das ist eine in der Migrationsethik
häufig zu vernehmende Argumentation: Menschenrechte begründen nicht nur
für Menschen in Not einen Anspruch auf Hilfe, sondern Freiheit und Gleichheit
der Menschen begründen auch das universelle Recht auf globale Bewegungsfrei-
heit. Von anderer Seite hat die Politik der offenen Grenzen genau entgegenge-
setzt zu einer scharfen Kritik geführt. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter
Udo di Fabio hat in einem Gutachten für die bayerische Landesregierung der
Regierung Merkel vorgeworfen, mit dem Verzicht auf Grenzkontrollen im Grun-
de die Bedingung der Staatlichkeit preisgegeben zu haben, was zudem nicht mit
dem Demokratieprinzip vereinbar sei, da das Staatsvolk hier keine Gelegenheit
hatte, über die Bevölkerungszusammensetzung zu entscheiden.8 Peter Graf Kiel-
mansegg hat hierzu ein anthropologisches und ein demokratietheoretisches Ar-
gument beigesteuert: das Bedürfnis nach Grenzen, bildet eine tief verwurzelte
anthropologische Konstante, das die Politik jedenfalls nicht mit Verachtung oder
7 Joseph H. Carens: Aliens and Citizens: The Gase for Open Borders, in: The Review of Poli-
tics, vol. 49 (1987), H. 2, S. 251-273.
8 Udo di Fabio: Migrationskrise als föderales Problem. Gutachten im Auftrag des Freistaats
Bayern, S. 52 abgedr. in: https://www.welt.de/bin/di-fabio-gutachten-150937063.pdf.
67
seits nicht, dass es nicht zugleich Grenzen dieser Ordnungsform zu gewärtigen
gibt - ja, dass es gerade gilt, die Grenzen des Legitimitätsanspruchs, die Grenzen
der Leistungsfähigkeit und die Grenzen der Reichweite des Handlungsanspruchs
zu beachten, um den demokratischen Verfassungsstaat als freiheitliche und demo-
kratische Ordnung erhalten zu können.
Das soll im Folgenden anhand der Flüchtlingskrise verdeutlicht werden, zu
der sich Graf Kielmansegg wie im Übrigen zu vielen anderen relevanten Themen
der Zeit als public intellectual mehrfach geäußert hat. Dazu soll zunächst einführend
die Spannung zwischen universalen Menschenrechten und partikularen Bürger-
rechten kurz gekennzeichnet werden.
1. Das Paradox
Es kommt ja nicht oft vor, dass eine radikale Forderung, die in dem geschützten
Raum der akademischen politischen Philosophie und Theorie geäußert wird, eine
Entsprechung in der politischen Praxis findet. Innerhalb eines Jahres sind rund
eine Million Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland eingereist, im Herbst
2015 waren es täglich mehrere tausende Menschen, die über faktisch offene Gren-
zen in die Bundesrepublik kamen. Eine Politik der offenen Grenzen entspricht
der Position des in Toronto lehrenden Politiktheoretiker Joseph Carens. Carens
argumentiert, dass die durch kontrollierte Staatsgrenzen bewirkte Exklusion von
Menschen, die in ein anderes Land einreisen und dort auch bleiben möchten,
nicht mit den Menschenrechten vereinbar sei.7 Das ist eine in der Migrationsethik
häufig zu vernehmende Argumentation: Menschenrechte begründen nicht nur
für Menschen in Not einen Anspruch auf Hilfe, sondern Freiheit und Gleichheit
der Menschen begründen auch das universelle Recht auf globale Bewegungsfrei-
heit. Von anderer Seite hat die Politik der offenen Grenzen genau entgegenge-
setzt zu einer scharfen Kritik geführt. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter
Udo di Fabio hat in einem Gutachten für die bayerische Landesregierung der
Regierung Merkel vorgeworfen, mit dem Verzicht auf Grenzkontrollen im Grun-
de die Bedingung der Staatlichkeit preisgegeben zu haben, was zudem nicht mit
dem Demokratieprinzip vereinbar sei, da das Staatsvolk hier keine Gelegenheit
hatte, über die Bevölkerungszusammensetzung zu entscheiden.8 Peter Graf Kiel-
mansegg hat hierzu ein anthropologisches und ein demokratietheoretisches Ar-
gument beigesteuert: das Bedürfnis nach Grenzen, bildet eine tief verwurzelte
anthropologische Konstante, das die Politik jedenfalls nicht mit Verachtung oder
7 Joseph H. Carens: Aliens and Citizens: The Gase for Open Borders, in: The Review of Poli-
tics, vol. 49 (1987), H. 2, S. 251-273.
8 Udo di Fabio: Migrationskrise als föderales Problem. Gutachten im Auftrag des Freistaats
Bayern, S. 52 abgedr. in: https://www.welt.de/bin/di-fabio-gutachten-150937063.pdf.
67