Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie'
Katholiken und Protestanten lebendig zur Anschauung bringt. Der auf seinem
Thron ins Wanken geratene Renaissance-Papst mit seinen bröckelnden Machtin-
signien und seiner wüsten Gefolgschaft aus Klerikern und fetten, gewaltberei-
ten Mönchen muss von den unten links befindlichen Jesuiten mit Mistgabeln
gestützt werden. Ihnen gegenüber ein monumentaler Luther, der dem wil-
den Haufen die aufgeschlagene Bibel mit Röm 1,17, seinem reformatorischen
Grundlagentext, entgegenhält: „lustus fide sua vivet - Der Gerechte wird aus
Glauben leben.“
Luther zu Füßen stehen die nur mit Buch und Schreibfedern „bewaffneten“
anderen Reformatoren, allen voran Melanchthon, der seine Feder wie einen wurf-
bereiten Speer in seiner erhobenen Rechten hält und damit wie ein Leonidas des
Geistes wirkt. Das Flugblatt mit seinem Holzschnitt hat deutlich eine „»philippis-
tische« Tendenz“:4 Philipp Melanchthon erscheint als wichtigster Gefolgsmann
Luthers, der an vorderster Front gegen das von den Jesuiten wirksam unterstütz-
te römisch-katholische Machtgefüge kämpft. Eine solche Sicht der Dinge ist in
den protestantischen Flugschriften jener Zeit keineswegs selbstverständlich, denn
nach Luthers Tod im Februar 1546 war Melanchthon in Teilen des Luthertums
zur Persona non grata geworden. In alle großen innerprotestantischen Streitig-
keiten und Grabenkämpfe der Jahre 1548-1560 war Melanchthon unentrinnbar
verflochten: Ab 1548 in den Adiaphoristischen Streit um die sogenannten Mittel-
dinge, ab 1550 in den Osiandrischen Streit um die Rechtfertigungslehre, ab 1552
in den Maioristischen Streit um die Bedeutung guter Werke und ab 1556 in den
Synergistischen Streit um die Willensfreiheit. Heinz Scheible hat das diesbezüg-
liche Kapitel seiner Melanchthon-Biographie kurz und treffend mit „Ständiger
Arger“ überschrieben.5
Auf dem abgebildeten Holzschnitt steht Melanchthon seinem ehemaligen
Schüler Friedrich Staphylus gegenüber, der 1552 zur römisch-katholischen Kirche
„abfiel“, aus protestantischer Sicht also ein verräterischer „Judas“ war. Bemerkens-
werteiweise gibt es eine weitere Fassung dieses Holzschnitts, in der ein anderer
Melanchthon-Schüler den zentralen Bösewicht spielt: Der bärtige Mann mit Hut
in der unteren Bildmitte ist dort gut erkennbar als (Matthias) Flacius bezeichnet,
der aus philippistischer Perspektive natürlich ebenfalls ein „Judas“ war. Mit dem
von den Gegnern herangeführten „greulich Thier“ in der Bildmitte, einem Feuer
speienden Mischwesen aus Löwe, Drache und Ziege, befinden wir uns endgültig in
jener Sphäre des Albtraumhaften, die im Titel des Vortrags anklingt. Melanchthon
träumte bereits 1541 im Umfeld des Regensburger Religionsgesprächs von einem
4 Vgl. Thomas Kaufmann, Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zwei-
ten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006, S. 217-220 (das Zitat auf S. 217
Anm. 38).
5 Heinz Scheible, Melanchthon. Vermittler der Reformation, München 2016, S. 235-251.
135
Katholiken und Protestanten lebendig zur Anschauung bringt. Der auf seinem
Thron ins Wanken geratene Renaissance-Papst mit seinen bröckelnden Machtin-
signien und seiner wüsten Gefolgschaft aus Klerikern und fetten, gewaltberei-
ten Mönchen muss von den unten links befindlichen Jesuiten mit Mistgabeln
gestützt werden. Ihnen gegenüber ein monumentaler Luther, der dem wil-
den Haufen die aufgeschlagene Bibel mit Röm 1,17, seinem reformatorischen
Grundlagentext, entgegenhält: „lustus fide sua vivet - Der Gerechte wird aus
Glauben leben.“
Luther zu Füßen stehen die nur mit Buch und Schreibfedern „bewaffneten“
anderen Reformatoren, allen voran Melanchthon, der seine Feder wie einen wurf-
bereiten Speer in seiner erhobenen Rechten hält und damit wie ein Leonidas des
Geistes wirkt. Das Flugblatt mit seinem Holzschnitt hat deutlich eine „»philippis-
tische« Tendenz“:4 Philipp Melanchthon erscheint als wichtigster Gefolgsmann
Luthers, der an vorderster Front gegen das von den Jesuiten wirksam unterstütz-
te römisch-katholische Machtgefüge kämpft. Eine solche Sicht der Dinge ist in
den protestantischen Flugschriften jener Zeit keineswegs selbstverständlich, denn
nach Luthers Tod im Februar 1546 war Melanchthon in Teilen des Luthertums
zur Persona non grata geworden. In alle großen innerprotestantischen Streitig-
keiten und Grabenkämpfe der Jahre 1548-1560 war Melanchthon unentrinnbar
verflochten: Ab 1548 in den Adiaphoristischen Streit um die sogenannten Mittel-
dinge, ab 1550 in den Osiandrischen Streit um die Rechtfertigungslehre, ab 1552
in den Maioristischen Streit um die Bedeutung guter Werke und ab 1556 in den
Synergistischen Streit um die Willensfreiheit. Heinz Scheible hat das diesbezüg-
liche Kapitel seiner Melanchthon-Biographie kurz und treffend mit „Ständiger
Arger“ überschrieben.5
Auf dem abgebildeten Holzschnitt steht Melanchthon seinem ehemaligen
Schüler Friedrich Staphylus gegenüber, der 1552 zur römisch-katholischen Kirche
„abfiel“, aus protestantischer Sicht also ein verräterischer „Judas“ war. Bemerkens-
werteiweise gibt es eine weitere Fassung dieses Holzschnitts, in der ein anderer
Melanchthon-Schüler den zentralen Bösewicht spielt: Der bärtige Mann mit Hut
in der unteren Bildmitte ist dort gut erkennbar als (Matthias) Flacius bezeichnet,
der aus philippistischer Perspektive natürlich ebenfalls ein „Judas“ war. Mit dem
von den Gegnern herangeführten „greulich Thier“ in der Bildmitte, einem Feuer
speienden Mischwesen aus Löwe, Drache und Ziege, befinden wir uns endgültig in
jener Sphäre des Albtraumhaften, die im Titel des Vortrags anklingt. Melanchthon
träumte bereits 1541 im Umfeld des Regensburger Religionsgesprächs von einem
4 Vgl. Thomas Kaufmann, Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zwei-
ten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006, S. 217-220 (das Zitat auf S. 217
Anm. 38).
5 Heinz Scheible, Melanchthon. Vermittler der Reformation, München 2016, S. 235-251.
135