Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

DOI Kapitel:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Artikel:
Korte, Barbara: Antrittsrede vom 28. Oktober 2017
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0364
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Antrittsrede von Barbara Korte

ganz in den Osten der neuen Bundesländer beförderte. 1993 erhielt ich den Ruf
auf einen Lehrstuhl an der neu gegründeten Philosophischen Fakultät der Techni-
schen Universität Chemnitz-Zwickau, wie sie damals noch hieß. Dass die Probe
gleich zum Ernstfall werden könnte, hatte ich nicht antizipiert, und ich habe den
Ruf im Bewusstsein angenommen, dass die erste Professur nicht nur Chance, son-
dern auch eine spezielle Herausforderung werden würde. Kurz nach der Wende
und noch kürzer nach der Ncustrukturierung der ostdeutschen Hochschulland-
schaft war Chemnitz in mancher Hinsicht kein einfaches Umfeld. Tatsächlich aber
boten die neuen Englischen Seminare in den neuen Bundesländern die Möglich-
keit, das Fach Anglistik im Sinne damals aktueller fachpolitischer Debatten neu
aufzustellen und den sogenannten „Cultural Turn“, die kulturwissenschaftliche
Wende in den Literatur- und Sprachwissenschaften, auch institutionell zu vollzie-
hen - vor allem dort, wo sie mit einer jüngeren Generation von Professoren und
vermehrt auch Professorinnen besetzt waren. Mir selbst ist die Wende von Eng-
lischer Philologie zu Literatur- als Kulturwissenschaft sehr entgegengekommen,
und seit der Zeit in Chemnitz befasse ich mich nicht mehr „nur“ mit Literatur,
ihrer Theorie und Geschichte, sondern verorte mich auch in den Großbritanni-
enstudien, den Postcolonial Studies und der Medienkulturwissenschaft. Wenn ich
nur einen einzigen Wissenschaftler nennen dürfte, dessen Ansätze mich geprägt
haben, so müsste dies Stuart Hall sein. Das Denken dieses Kultursoziologen, der
nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Karibik nach Großbritannien einwanderte,
hat in der Anglistik, wie sie sich heute darstellt, viele Spuren hinterlassen. Es hat
Aufmerksamkeit geweckt für die gesellschaftlichen und politischen Konsequen-
zen jeder medialen Darstellung, für den Konnex von Repräsentation und Identität,
und für die Stellung von Literatur als Teil größerer Mediensysteme. Nicht zuletzt
hat Stuart Hall betont, wie wichtig es ist, dass sich Literatur-, Kunst- und Medien-
wissenschaften kritisch und verantwortlich mit Gegenwartsphänomenen befassen.
Ich habe mich hier gerne inspirieren lassen und in Forschungsprojekten u. a. über
Literatur und Film des neuen multiethnischen Großbritannien, über Kriegsbe-
richterstattung und Armutsdarstellungen gearbeitet. Momentan sind es natürlich
der Brexit und seine ersten kulturellen Verarbeitungen, die mich wie andere Ver-
treter und Vertreterinnen meines Fachs beschäftigen.
Aber zurück zur TU Chemnitz. Bei allen Innovationen, die sich dort tat-
sächlich implemetieren ließen, war schnell abzusehen, dass es die Geisteswissen-
schaften in naher Konkurrenz zu den Universitäten in Dresden und Leipzig sehr
schwer haben würden. Das war Ansporn für mich, das „dritte Buch“ in Angriff zu
nehmen: eine Geschichte des englischen Reiseberichts von Pilgererzählungen bis
zu postmodernen Varietäten. Das Buch erschien 1996 auf Deutsch, später auch
in einer erweiterten englischen Fassung, und es war sicher nicht unwichtig, um
mir 1997 zu einer Professur an der Universität Tübingen zu verhelfen. Es war
möglich, auch an dieser traditionsreichen Universität ein „Centre for the Study

365
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften