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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Math.-nat. Klasse am 26. Januar 2002
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Rockstroh, Brigitte: Was Hänschen nicht lernt...? Erkenntnisse zur kortikalen Plastizität beim Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0042
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26. Januar 2002 | 53

ren Sinnessystems kompensieren und bei Personen, die aufgrund ihres Hobbies oder
Berufs ein Sinnessystem besonders intensiv nutzen. Dabei ergab z.B. die Rekon-
struktion des somatosensorischen Homunkulus bei armamputierten Personen kon-
tralateral zur amputierten Seite eine Verschiebung des auf Berührungen der Lippe
reagierenden Areals in das Handareal, das aufgrund der Amputation keinen afferen-
ten Input mehr erhielt. Dies entspricht dem tierexperimentellen Befund Deafferen-
tierungsbedingter Reorganisation im Sinne einer Invasion. Diese Reorganisation ist
auch von klinischer Bedeutung, denn sie scheint ein perzeptives Korrelat zu haben:
bei Armamputierten mit intensivem Phantomschmerz findet sich die stärkere Reor-
ganisation2. Armamputierte weisen schließlich auch Reorganisation infolge intensi-
vierter Stimulation (input increase) auf, da die Repräsentation der verbliebenen (und
entsprechend intensiv eingesetzten) Hand signifikant ausgedehnter ist als bei Perso-
nen, die beide Hände mehr oder weniger gleichmäßig einsetzen.
Komplementär zur ‘input-decrease’ Reorganisation nach Amputation (Deaffe-
rentierung) lässt sich bei Musikern, die — wie Streicher oder Gitarristen — vier Finger
der linken Hand beim Manipulieren der Saiten mehr als die Finger der rechten Hand
stimulieren,‘input-increase’ Reorganisation nachweisen: die Repräsentation der linken
Hand in der kontralateralen rechten Hemisphäre ist bei Musikern ausgedehnter als bei
Nicht-Musikern3. Die Ausdehnung der sensiblen Areale der vermehrt stimulierten
Finger korreliert dabei mit dem Alter, in dem die Probanden mit regelmäßigem Spie-
len begonnen hatten, also mit der Intensität der gezielten Stimulation über Zeit.
Wird eine gesamte modalitätsspezifische Hirnregion von der Information
abgeschnitten, wie dies etwa bei Blinden für den Sehcortex der Fall ist, so konzen-
trieren sich die Betroffenen besonders intensiv auf andere Sinne, Tast- den Hörsinn.
Entsprechend findet sich bei kongenital oder in der Jugend erblindeten Personen
Reorganisation im akustischen Cortex im Sinne einer signifikant größeren Ausdeh-
nung der tonotopen Karte für die Dekodierung von Frequenzen zwischen 500 und
4000 Hz als bei sehenden Personen4. Außerdem führt die intensive sensorische Sti-
mulation bei Blinden, die regelmäßig die Blindenschrift Braille lasen, zu ‘input
increase’ Reorganisation, d. h. ausgdehnterer Repräsentation des Handareals, aber
auch zu einer Verschmierung der Repräsentationsreale einzelner Finger, die sich mit
der intensiven zeitsynchronen Stimulation und entsprechend afferentem Input in die
Repräsentationsareale benachbarter Fingerregionen erklären ließe5.

2 Flor, H., Elbert, T., Wienbruch, C., Pantev, C., Knecht, S., Birbaumer, N., Larbig, W, Taub, E.
(1995). Phantom limb pain as a perceptual correlate of massive cortical reorgamzation in upper
hmb amputtees. Nature, 375, 482-484.
3 Elbert,T., Pantev, C.,Wienbruch, C., Rockstroh, B.,Taub, E. (1995). Increased use of the left hand
in string players associated with increased cortical representation of the fingers. Science, 270,
305-307.
4 Elbert,T, Sterr, A., Rockstroh, B., Pantev, C., Müller, M.,Taub, E. (2002) Expansion of the tono-
topic area in the cortex of the blind. J. Neuroscience, 22 (9941—9944).
5 Sterr, A., Müller, M., Elbert,T, Rockstroh, B., Pantev, C.,Taub, E. (1998) Perceptual correlates of
use-dependent chqanges in cortical representation of the fingers in blind Braille readers.
J. Neuroscience, 18 (11): 4417—4423.
 
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