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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Hauptmann, Harald: Karl Jettmar (8.8.1918 - 28.3.2002)
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Karl Jettmar

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Auf eine kurze Tätigkeit als Gastassistent am Frobenius-Institut in Frankfurt
folgte 1954 die Anstellung am Wiener Museum für Völkerkunde, wo ihm die Neu-
ordnung der ostasiatischen und indischen Sammlungsbestände übertragen wurde.
Aber erst die Teilnahme an der vom Mainzer Ethnologen Adolf Friedrich geleiteten
Deutschen Hindukusch-Expedition von 1955/56 sollte Jettmars Forschungen in
eine neue Richtung lenken. Ziel der unzureichend vorbereiteten Unternehmung
war, in der wenig bekannten Hochgebirgszone Nordpakistans die Vielfalt der Ethnien,
Sprachgruppen und Religionen zu erfassen und die Forschungen auch auf Afghani-
stan auszudehnen. Nachdem Friedrich den Strapazen der ausgedehnten Reisen im
April 1956 zum Opfer gefallen war, wurde Jettmar die Auswertung der ethnologi-
schen Forschungen übertragen. Sie fanden mit den auch für Zentralasien wichtigen
Beobachtungen in der 1957 abgeschlossenen Habilitationsschrift „Zur Kulturge-
schichte eines Dard-Volkes. Siedlungsgeschichte, Schamanismus und Jagdbrauchtum
der Shin“ eine erste Zusammenfassung. Aber schon vor Abschluß des Habilitations-
verfahrens erhielt er 1958 als Nachfolger von R. von Heine-Geldern einen Ruf auf
das Extraordinariat für Ethnologie und Paläethnologie Asiens an der Universität
Wien, von der aus er im gleichen Jahr als Teilnehmer der Österreichischen Haramosh-
Expedition die Arbeiten der Mainzer Universität fortführen konnte. 1960 hielt er
sich zum zweiten Mal zu ausgedehnten Forschungen in Gilgit auf. Das Haupt-
ergebnis seiner Feldarbeiten im bardischen Siedlungsgebiet erbrachten Nachweise
für das Nachleben archaischer Kultformen in einer islamisierten Umgebung, aber
auch Einblicke in die Sozialstruktur der Bergvölker und erste Beiträge zur Archäo-
logie der Region. 1960 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Ethnologie an der
Universität Mainz, wodurch er den immer noch schwelenden Konflikt mit der tra-
ditionellen „Wiener Schule“ endgültig hinter sich lassen konnte. Hier war es ihm
möglich, seine Sicht der kulturgeschichtlichen Entwicklung im eurasischen Step-
pengürtel und seiner Randzonen in einer von der Forschung dankbar aufgenom-
menen Gesamtschau „Die frühen Steppenvölker“ (1964) vorzustellen. Außerdem
erschienen erste religionsgeschichtliche Studien, die schließlich in seinem zweiten
Hauptwerk „Die Religionen des Hindukusch“ 1975 zusammengefaßt wurden. Die-
ses auch international viel beachtete Werk ist 1986 in englischer und russischer
Übersetzung herausgegeben worden.
Schon 1964 wechselte Jettmar auf das Ordinariat für Ethnologie an dem neu
eingerichteten Südasien-Institut der Universität Heidelberg, wo er seine auf die
Erforschung der Hochgebirgsregion um Hindukusch, Himalaya und Karakorum
ausgerichtete wissenschaftliche Zielsetzung vertiefen konnte, sich aber auch stärker
um eine in den späten 60er Jahren umstrittene neue Ausrichtung der traditionellen
Völkerkunde bemühen mußte. Der spätere Kultusminister des Landes, Wilhelm
Hahn, hatte mit der Gündung des Südasien-Insituts kühne Erwartungen für die
Zukunft der Universität geknüpft: „Die introvertierte deutsche Universität, die sich
bisher nur mit traditionellen Stoffen befaßt hat, sollte den Problemen der Dritten
Welt geöffnet werden, die sich aus dem Kolonialismus zu lösen begann“. Mit seiner
wissenschaftlichen Erfahrung und nicht zuletzt aufgrund seiner über die Fachgebiete
Ethnologie und Archäologie hinaus reichende Weitsicht war er prädestiniert, diesem
 
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