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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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A. Das akademische Jahr 2014
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Leppin, Volker: Reformation aus dem Geist der Mystik: Luthers reformatorisches Werden: Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 24. Januar 2014
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0041
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Volker Leppin
„Reformation aus dem Geist der Mystik:
Luthers reformatorisches Werden"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 24. Januar 2014
Das übliche Bild von Luthers reformatorischer Entwicklung beruht auf einem spä-
ten Rückblick, den der Reformator im Jahre 1545 verfasst hat Im Vorwort zur Ver-
öffentlichung seiner Lateinischen Werke beschrieb er seinen Entwicklungsgang,
wie er sich ihm kurz vor seinem Tod plausibel darstellte. Hiernach hat er zu einem
nicht ganz klaren Datum (zwischen 1512 und 1519) eine exegetische Entdeckung
gemacht: Das Wort „iustitia“, Gerechtigkeit, aus Röm 1,17 hatte er bislang im Sin-
ne einer iustitia activa verstanden; hiernach forderte Gott vom Menschen eigene
aktive Gerechtigkeit und beurteilte ihn hiernach im Gericht - eine Perspektive,
die den jungen Mönch und Professor, so stellt er es im Rückblick dar, schreckte.
Erst als ihm deutlich wurde, dass nicht die iustitia activa gemeint war, sondern die
iustitia passiva, durch welche Gott nicht Gerechtigkeit fordert, sondern den Men-
schen selbst gerecht macht, wurde ihm das Wort Gerechtigkeit angenehm und süß,
und indem er diese exegetische Beobachtung an anderen Textstellen bestätigte,
öffneten sich für Luther nach seinem späten Rückblick gar die Tore des Paradie-
ses. Diese Schilderung hat ein gutes Jahrhundert lang die Darstellung von Luthers
reformatorischer Entwicklung bestimmt. Sie passte in die dogmatische Betonung
der Rechtfertigungslehre und des Schriftbezugs der Reformation in der evangeli-
schen Theologie ebenso wie in die Betonung eines Neuaufbruchs gegenüber dem
Mittelalter.
Der Vortrag stellte dem einen lange vernachlässigten Text und damit verbun-
den eine andere Theorie von Luthers reformatorischem Werden entgegen: 1518
schrieb Luther an seinen Beichtvater Staupitz, dass er durch diesen eine neue Er-
kenntnis hinsichtlich des Begriffs „poenitentia“, Buße, erlangt habe, dass diese
nämlich nicht mit Furcht, sondern mit Liebe zu Gott beginne. Staupitz habe er
dabei wie eine Stimme aus dem Himmel erfahren und sei dessen Weisung gefolgt,
habe die neue Erkenntnis an mehreren Schriftstellen überprüft und schließlich sei
ihm das Wort Buße angenehm und süß geworden.
Offenkundig handelt es sich um eine frühe Parallele zu dem späten iustitia-
Bericht. Auch wenn man beide Texte nicht gegeneinander ausspielt, sondern in
ihnen jeweils anekdotische Zuspitzungen dessen wahrnimmt, was Luther zum je-
weiligen Zeitpunkt der Niederschrift bedeutsam erschien, ist deutlich, dass man
den Text von 1518 ernster nehmen muss als lange geschehen.

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