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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2014
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Boehm, Thomas: Die evolutionären Wurzeln der Immunität: Sitzung der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse am 24. Januar 2014
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0044
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II. Wissenschaftliche Vorträge

der sogenannten Rundmäuler, deren in unseren Breiten bekannteste Vertreter die
Neunaugen sind, stehen dabei der größeren Gruppe der Kiefermäuler gegenüber,
zu denen der Hai ebenso gehört wie der Mensch. Vergleichende Studien der letz-
ten Jahre haben überraschende Gemeinsamkeiten in den Organisationsprinzipien
der Immunsysteme der beiden Schwestergruppen erkennen lassen (Boehm, 2011).
Gemeinsam sind allen Wirbeltieren sogenannte primäre lymphatische Organe, in
denen die für die immunologische Abwehr verantwortlichen Zelltypen heran-
reifen. Besonders erhellend in diesem Zusammenhang war die von uns kürzlich
beschriebene Entdeckung des Thymusäquivalents in Neunaugen (Bajoghli et al.,
2011), welche eine über hundert Jahre währende Kontroverse über bestimmte Im-
munfuktionen basaler Wirbeltiere beenden half. Der Thymus, Feinschmeckern
als Bries bekannt, ist für die Abwehr von Parasiten wesentlich, sorgt er doch für
die Bildung der nach ihrem Entstehungsort T-Zellen genannten Immunzellen.
Bei aller Gemeinsamkeit der Immunsysteme der Rund- und Kiefermäulern un-
terscheiden sich die molekularen Feinheiten der Fremderkennung jedoch stark
(Hirano et al., 2011). Die Anfänge der Wirbeltierevolution waren offensichtlich
von zahlreichen immunologische Innovationen geprägt, deren Resultate sich noch
heute bei Rund- und Kiefermäuler studieren lassen.
Es kann vermutet werden, dass vergleichende Studien von Tieren ungewöhn-
licher Erscheinungs- oder Lebensformen wertvolle Hinweise auf die Bedeutung
und Anpassung einzelner Komponenten der für Wirbeltiere charakteristischen
Immunsysteme geben können. Deshalb sind beispielsweise die Immunsysteme
von Fischen mit extrem kurzer Lebensspanne und sehr geringer Körpermasse von
besonderem Interesse. Hier sollte die Balance zwischen den mit der Ausprägung
eines vollständigen adaptiven Immunsystems verbundenen Vorteilen und den im
Hinblick auf die Gewebedifferenzierung und -erhalt verbundenen Kosten in be-
sonderer Schärfe hervortreten.
Die Aufdeckung der den Immunsystemen der Wirbeltiere gemeinsamen
Merkmale erlaubt uns auch, die Entwicklung künstlicher immunstimulierender
Gewebe in Angriff zu nehmen (Calderon und Boehm, 2012). Diese Anstrengun-
gen haben nicht nur den Zweck, die Richtigkeit unserer Schlussfolgerungen aus
vergleichenden Studien zu bestätigen (getreu dem Feynmanschen Diktum „What
I cannot create, I do not understand“), sondern stellen auch erste Schritte in Rich-
tung einer klinischen Anwendung unserer Erkenntnisse dar. Sollte es beispiels-
weise eines Tages gelingen, dem Thymus nachempfundene künstliche Gewebe zu
schaffen, so könnten diese helfen, die im Alter oder nach Behandlung von Tumo-
rerkrankungen häufige Immundefizienz zu mildern.

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