Tagung „Das Tier in der Rechtsgeschichte'
Kurt Andermann erläuterte am Beispiel des Huhns die enorme Bedeutung von
(meist lebendigen) Tieren als Naturalabgabe.
Kaum ein größeres Gesetz, kaum eine größere Rechtssammlung vergange-
ner Jahrhunderte kam ohne die Erwähnung von Tieren aus, wie auf der Tagung
anhand ausgewählter Quellen illustriert wurde: Der Philologe und Leges-Kenner
Hans Höfinghoff ging auf die vielfältige Behandlung von (heute oft unbekannten)
Tieren in den frühmittelalterlichen sog. germanischen Völksrechten ein. Die Wies-
badener Rechtsikonografin Dietlinde Munzel-Everling verdeutlichte die Relevanz
der Tiere im um 1224/35 entstandenen Sachsenspiegel, dem wichtigsten Rechts-
buch des deutschen Mittelalters, anhand von Darstellungen in den erhaltenen Bil-
derhandschriften. Und der FreiburgerWeistums-Forscher Michael Prosser-Schell
zeigte die hohe Bedeutung von Tieren in Weistümern, ländlichen Rechtsquellen
des Spätmittelalters und der Frühneuzeit, auf.
Nicht nur im bäuerlichen Umfeld waren Nutztiere zuallererst ein Vermö-
genswert. Durfte mit Tieren also gleich Sachen nach Belieben verfahren werden?
Der Regensburger Rechtshistoriker Friedrich-Christian Schroeder verdeutlichte
in seinem Referat über die Geschichte der Strafbarkeit von Tierquälerei, dass es
zwar schon im Mittelalter vereinzelt Bestimmungen zum Schutz von Tieren gab,
diese aber letztlich nur den Eigentümer oder Besitzer des jeweiligen Tieres, al-
so nicht das Tier selbst schützen sollten. Eine Strafbarkeit von Tierquälerei zum
Schutz der Tiere um ihrer selbst willen konnte sich im deutschen Recht erst im
20. Jahrhundert etablieren. Der Karlsruher Philosophiehistoriker Ulrich Kronauer
konnte bestätigen, dass Grausamkeit gegen Tiere auch in der Zeit der Aufklärung
noch selbstverständlich und kaum in Frage gestellt war. Solange es Menschen in
Leibeigenschaft gab, brauchte über eine „Emanzipation“ der Tiere nicht nachge-
dacht werden. Der Osnabrücker Theologe Martin Jung verwies in seinem Beitrag
über den „Umgang mit den Tieren als Thema der frühneuzeitlichen protestanti-
schen Theologie“ darauf, dass es einige württembergische Protestanten im späten
17. und frühen 18. Jahrhundert waren, die den Schutz der Tiere als „Mitgeschöp-
fe“ erstmals in Deutschland propagierten und damit den Weg für einen Tierschutz
im modernen Sinne bahnten - bis hin zur Gründung des ersten deutschen Tier-
schutzvereins 1837 in Stuttgart.
Wie eine Vermenschlichung von Tieren wirken aus moderner Sicht freilich die
in Mittelalter und Frühneuzeit verbreiteten Strafprozesse gegen Tiere. Schweine
wurden vor Gericht gestellt, weil sie ein Kind getötet haben, Heuschrecken wegen
Vernichtung der Ernte. Wie der Wiener Historiker Peter Dinzelbacher erläuterte,
ist bis heute ungeklärt, weshalb die Tierprozesse aufkamen; das Phänomen lasse
sich aber in Anbetracht der Vielzahl erhaltener Originalquellen nicht leugnen. Für
den Tierhalter (so es einen solchen gab) hatte ein Prozess gegen das schädigende
Tier den Vorteil, dass er nicht selbst haften musste. Für ihn im Ergebnis ähnlich
wirkte das mittelalterliche deutsche Rechtsprinzip, dass der Tierbesitzer sein schä-
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Kurt Andermann erläuterte am Beispiel des Huhns die enorme Bedeutung von
(meist lebendigen) Tieren als Naturalabgabe.
Kaum ein größeres Gesetz, kaum eine größere Rechtssammlung vergange-
ner Jahrhunderte kam ohne die Erwähnung von Tieren aus, wie auf der Tagung
anhand ausgewählter Quellen illustriert wurde: Der Philologe und Leges-Kenner
Hans Höfinghoff ging auf die vielfältige Behandlung von (heute oft unbekannten)
Tieren in den frühmittelalterlichen sog. germanischen Völksrechten ein. Die Wies-
badener Rechtsikonografin Dietlinde Munzel-Everling verdeutlichte die Relevanz
der Tiere im um 1224/35 entstandenen Sachsenspiegel, dem wichtigsten Rechts-
buch des deutschen Mittelalters, anhand von Darstellungen in den erhaltenen Bil-
derhandschriften. Und der FreiburgerWeistums-Forscher Michael Prosser-Schell
zeigte die hohe Bedeutung von Tieren in Weistümern, ländlichen Rechtsquellen
des Spätmittelalters und der Frühneuzeit, auf.
Nicht nur im bäuerlichen Umfeld waren Nutztiere zuallererst ein Vermö-
genswert. Durfte mit Tieren also gleich Sachen nach Belieben verfahren werden?
Der Regensburger Rechtshistoriker Friedrich-Christian Schroeder verdeutlichte
in seinem Referat über die Geschichte der Strafbarkeit von Tierquälerei, dass es
zwar schon im Mittelalter vereinzelt Bestimmungen zum Schutz von Tieren gab,
diese aber letztlich nur den Eigentümer oder Besitzer des jeweiligen Tieres, al-
so nicht das Tier selbst schützen sollten. Eine Strafbarkeit von Tierquälerei zum
Schutz der Tiere um ihrer selbst willen konnte sich im deutschen Recht erst im
20. Jahrhundert etablieren. Der Karlsruher Philosophiehistoriker Ulrich Kronauer
konnte bestätigen, dass Grausamkeit gegen Tiere auch in der Zeit der Aufklärung
noch selbstverständlich und kaum in Frage gestellt war. Solange es Menschen in
Leibeigenschaft gab, brauchte über eine „Emanzipation“ der Tiere nicht nachge-
dacht werden. Der Osnabrücker Theologe Martin Jung verwies in seinem Beitrag
über den „Umgang mit den Tieren als Thema der frühneuzeitlichen protestanti-
schen Theologie“ darauf, dass es einige württembergische Protestanten im späten
17. und frühen 18. Jahrhundert waren, die den Schutz der Tiere als „Mitgeschöp-
fe“ erstmals in Deutschland propagierten und damit den Weg für einen Tierschutz
im modernen Sinne bahnten - bis hin zur Gründung des ersten deutschen Tier-
schutzvereins 1837 in Stuttgart.
Wie eine Vermenschlichung von Tieren wirken aus moderner Sicht freilich die
in Mittelalter und Frühneuzeit verbreiteten Strafprozesse gegen Tiere. Schweine
wurden vor Gericht gestellt, weil sie ein Kind getötet haben, Heuschrecken wegen
Vernichtung der Ernte. Wie der Wiener Historiker Peter Dinzelbacher erläuterte,
ist bis heute ungeklärt, weshalb die Tierprozesse aufkamen; das Phänomen lasse
sich aber in Anbetracht der Vielzahl erhaltener Originalquellen nicht leugnen. Für
den Tierhalter (so es einen solchen gab) hatte ein Prozess gegen das schädigende
Tier den Vorteil, dass er nicht selbst haften musste. Für ihn im Ergebnis ähnlich
wirkte das mittelalterliche deutsche Rechtsprinzip, dass der Tierbesitzer sein schä-
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