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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2014
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Arend, Sabine: Von Böswichten und herrlichen Musicanten. Schulzeugnisse im 17. Jahrhundert: Mitarbeitervortrag
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0098
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III. Veranstaltungen

den ersten Jahren nach Gründung waren die Stipendiaten im Haus eines Lehrers
untergebracht, der in einem Schulanbau wohnte. Dieses Gebäude wurde später
ganz zum Wohnhaus der Alumnen.
Da die Stipendienanstalt größtenteils von „öffentlichen“ Geldern finanziert
wurde, mussten die Rektoren dem Scholarchat - der städtischen Schulbehörde
- Rechenschaft darüber ablegen, welche Fortschritte ihre Zöglinge machten. Wie
alle anderen Lateinschüler auch, wurden die Stipendiaten zwei Mal im Jahr ex-
aminiert. Im Anschluss an die Prüfungen schrieb der Rektor einen Bericht mit
kurzen Beurteilungen sämtlicher Collegiaten, den er dem Scholarchat übersandte.
Diesem Umstand verdankt sich also die Existenz der Schülerzeugnisse.
Hierzu ein Beispiel: Im Jahre 1657 besuchte der Schüler Johann Friedrich
Schneider bereits seit zwei Jahren die Esslinger Lateinschule und lebte als Stipendi-
at in den Räumlichkeiten des Alumneums. Wie alljährlich im Frühjahr und Herbst
nahm der Rektor eine Prüfung der Schüler ab und reichte die Ergebnisse bei der
Esslinger Schulbehörde ein. Den elfjährigen Johann Friedrich Schneider lobte der
Rektor, er sei „im lernen sehr fleißig“, aber in musikalischen Fächern wegen seines
geringen Alters noch „nicht zu gebrauchen“. Drei Jahre später hatte sich der kleine
Stipendiat zu einem hoffnungsvollen Schüler gemausert, dem der Rektor beschei-
nigte: er „ist fleisig in studiis [und] mit einem herrlichen gedechtnüß begabt“.
Auch zur Musik hatte Schneider inzwischen einen Zugang gefunden, denn der
Rektor bestätigte: Er „singet einen schönen alt und streichet auch denselben auff
der geigen“. Im folgenden Jahr wurde konstatiert, dass der inzwischen 15-jährige
Schneider immer noch ein „herrliches gedächtnüß“ besitze, „einen schönen und
guten alt“ singe und nun sogar auch noch angefangen habe, neben der Altgeige
(Bratsche) die Violine zu lernen. Im Jahr darauf hatte Schneider seine musikali-
schen Fähigkeiten offenbar zur vollen Blüte gebracht, denn obgleich er durch den
Stimmbruch bedingt nun vom Alt in die tiefere Tenorlage gewechselt war, wurde
ihm bescheinigt: „Ist perfect in musicis“.
Die schulische Laufbahn des Johann Friedrich Schneider, der trotz seiner ho-
hen musikalischen Begabung später übrigens nicht in diesem Bereit tätig war, son-
dern Schuhmacher geworden sein soll, ist eine von rund 200 „Schülerkarrieren“,
die sich aus den Beurteilungen der Esslinger Rektoren rekonstruieren lassen.
Derartig detaillierte Beschreibungen sind nicht sehr zahlreich erhalten, und
so weist der Esslinger Fund einen gewissen Seltenheitswert auf. Die Überlieferung
ist nicht lückenlos. Doch liegen für die Jahre zwischen 1601 und 1686 Berichte aus
78 Halbjahren vor, die ein Bild vom Leben und Lernen der Stipendiaten im Esslin-
ger Alumneum spiegeln. Die Beurteilungen gewinnen ihre Farbigkeit jedoch nicht
allein aus der Schilderung des schulischen Fortkommens der Alumnen, sondern
auch aus Hinweisen auf ihre Herkunft, ihr Eintrittsalter sowie ihre Aufenthalts-
dauer. Man erfährt ferner etwas über den körperlichen und geistigen Zustand der
Jungen, über Krankheiten, gute und schlechte Angewohnheiten sowie über ihr

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