Akademievorlesung von Arnold Esch
und Päpste, sondern auch gewöhnliche Menschen anzuhören (und damit sind ja
nicht nur die Menschen der Unterschicht gemeint, sondern alle, die nicht Zugang
zur Macht und nicht Zugang zur Überlieferung haben), ist ein gern beteuerter
Vorsatz. Aber das bleibt oft Lippenbekenntnis, denn für die Durchführung muss
man sich etwas einfallen lassen, muss man etwas tun: Diese Menschen kommen
nicht von selbst zu uns, man muss sie aufsuchen, muss Quellen aufspüren, die sie
zu Worte kommen lassen. Und das sind nicht eben viele. In Italien mit seinem un-
erhörten Quellenreichtum (da trinkt man nicht aus historischen Quellen, sondern
da badet der Historiker in seinen Quellen) ist das etwas leichter. Das hat natürlich
mit Schriftlichkeit zu tun, mit der romanischen Kultur der Schriftlichkeit. Schrift-
lichkeit ist in Italien schon im 13. Jahrhundert so selbstverständlich, dass sogar das
den Eltern gegebene Versprechen, ein Jahr lang aufs Würfelspiel zu verzichten,
vor dem Notar abgeschlossen wird - während es in Deutschland wahrscheinlich
per Handschlag unter der nächsten Linde bekräftigt worden wäre und uns damit
schon verloren ist.
Wenn man in aller Kürze die Umstände kennzeichnen wollte, unter denen
solche Menschen in mittelalterlichen Quellen zu Worte kommen, und nach denen
man folglich suchen müsste, dann könnte man vielleicht sagen: sie sprechen nie
unaufgefordert, sie sprechen nur, wenn sie sprechen dürfen oder sprechen müssen
(Das klingt banal und ist es doch nicht, denn andere, etwa die Humanisten, reden
auch ungebeten auf den Historiker ein). Wir müssen also an Quellengattungen
kommen, in denen das der Fall ist: dass gewöhnliche Menschen sprechen dürfen
oder sprechen müssen. Und das sind, zunächst einmal, Zeugenvernehmungen
und Verhöre.
Dazu je ein Beispiel. Wenn etwa in einem Heiligsprechungsverfahren die
Nachbarn des (oder der) Heiligen dazu aufgefordert sind, über deren Lebenswan-
del auszusagen, dann erfahren wir, auch auf der niedersten sozialen Ebene, in ganz
persönlicher Aussage Details, wie wir sie nicht erwartet und aus keiner anderen
Quelle erfahren hätten. Und nicht etwa nur über den Heiligen, sondern über die
Zeugen selbst: sie müssen sich selbst ins Spiel bringen, um sagen zu können, was
sie sagen wollen. Und darauf haben wir es abgesehen, auf die Zeugen mehr als auf
die Heiligen, denn für die haben wir in den Hefe Sanctorum auch andere Quellen.
Da treten etwa im Verfahren für Santa Francesca Romana, eine Frau aus dem
großbürgerlichen Milieu Roms, Personen auf, die sonst nie eine Möglichkeit ge-
habt hätten, sich uns Späteren vernehmlich zu machen, und aus deren Aussagen
wir römische Lebensverhältnisse herausschälen können, etwa wenn sie berichten:
Der Ehemann der Heiligen war reich, hatte viel Viehbesitz, davon wollte er mit
seiner Frau abends beim Zubettgehen, während sie betete, noch reden (sie woll-
te immer beten, ist die beabsichtigte Aussage; der Historiker aber hört zugleich:
wirtschaftliche Grundlage ist Viehbesitz auch in der Stadt). Oder: der Teufel sei
manchmal in Gestalt von Ziege oder Schaf sogar die Treppe zu ihr heraufgekom-
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und Päpste, sondern auch gewöhnliche Menschen anzuhören (und damit sind ja
nicht nur die Menschen der Unterschicht gemeint, sondern alle, die nicht Zugang
zur Macht und nicht Zugang zur Überlieferung haben), ist ein gern beteuerter
Vorsatz. Aber das bleibt oft Lippenbekenntnis, denn für die Durchführung muss
man sich etwas einfallen lassen, muss man etwas tun: Diese Menschen kommen
nicht von selbst zu uns, man muss sie aufsuchen, muss Quellen aufspüren, die sie
zu Worte kommen lassen. Und das sind nicht eben viele. In Italien mit seinem un-
erhörten Quellenreichtum (da trinkt man nicht aus historischen Quellen, sondern
da badet der Historiker in seinen Quellen) ist das etwas leichter. Das hat natürlich
mit Schriftlichkeit zu tun, mit der romanischen Kultur der Schriftlichkeit. Schrift-
lichkeit ist in Italien schon im 13. Jahrhundert so selbstverständlich, dass sogar das
den Eltern gegebene Versprechen, ein Jahr lang aufs Würfelspiel zu verzichten,
vor dem Notar abgeschlossen wird - während es in Deutschland wahrscheinlich
per Handschlag unter der nächsten Linde bekräftigt worden wäre und uns damit
schon verloren ist.
Wenn man in aller Kürze die Umstände kennzeichnen wollte, unter denen
solche Menschen in mittelalterlichen Quellen zu Worte kommen, und nach denen
man folglich suchen müsste, dann könnte man vielleicht sagen: sie sprechen nie
unaufgefordert, sie sprechen nur, wenn sie sprechen dürfen oder sprechen müssen
(Das klingt banal und ist es doch nicht, denn andere, etwa die Humanisten, reden
auch ungebeten auf den Historiker ein). Wir müssen also an Quellengattungen
kommen, in denen das der Fall ist: dass gewöhnliche Menschen sprechen dürfen
oder sprechen müssen. Und das sind, zunächst einmal, Zeugenvernehmungen
und Verhöre.
Dazu je ein Beispiel. Wenn etwa in einem Heiligsprechungsverfahren die
Nachbarn des (oder der) Heiligen dazu aufgefordert sind, über deren Lebenswan-
del auszusagen, dann erfahren wir, auch auf der niedersten sozialen Ebene, in ganz
persönlicher Aussage Details, wie wir sie nicht erwartet und aus keiner anderen
Quelle erfahren hätten. Und nicht etwa nur über den Heiligen, sondern über die
Zeugen selbst: sie müssen sich selbst ins Spiel bringen, um sagen zu können, was
sie sagen wollen. Und darauf haben wir es abgesehen, auf die Zeugen mehr als auf
die Heiligen, denn für die haben wir in den Hefe Sanctorum auch andere Quellen.
Da treten etwa im Verfahren für Santa Francesca Romana, eine Frau aus dem
großbürgerlichen Milieu Roms, Personen auf, die sonst nie eine Möglichkeit ge-
habt hätten, sich uns Späteren vernehmlich zu machen, und aus deren Aussagen
wir römische Lebensverhältnisse herausschälen können, etwa wenn sie berichten:
Der Ehemann der Heiligen war reich, hatte viel Viehbesitz, davon wollte er mit
seiner Frau abends beim Zubettgehen, während sie betete, noch reden (sie woll-
te immer beten, ist die beabsichtigte Aussage; der Historiker aber hört zugleich:
wirtschaftliche Grundlage ist Viehbesitz auch in der Stadt). Oder: der Teufel sei
manchmal in Gestalt von Ziege oder Schaf sogar die Treppe zu ihr heraufgekom-
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