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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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A. Das akademische Jahr 2014
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Esch, Arnold: Große Geschichte und kleines Leben. Wie Menschen in historischen Quellen zu Wort kommen: Akademievorlesung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0110
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III. Veranstaltungen

men - wir lassen den Teufel kurz beiseite und sehen, wie es in solch einem Pa-
lazzo zuging: unten die Ställe, darüber das Wohngeschoß. Oder: sie hätte sich die
schönsten Kleider leisten können, tat es aber nicht, trug immer bloß Grün (das war
damals also offensichtlich nicht die Modefarbe). Und so weiter, und die Zeugen
immer mittendrin in den Geschichten.
Und, zweitens, Verhöre. Wenn die Inquisition einen der Ketzerei Verdächtig-
ten in ihren Fängen hat, dann wird sie - denn sie will Namen - aus ihm auch sein
ganzes soziales Umfeld herauspressen und ihn womöglich nötigen, seine eigenen
Vorstellungen von Gott und der Welt darzulegen: woher erführen wir sonst, wie
sich ein italienischer Müller die Entstehung der Welt dachte? Oder wenn die In-
quisition gar ein ganzes Dorf verhört wie Montaillou, ersteht aus den Aussagen
das ganze gesellschaftliche Geflecht dieser dörflichen Gemeinschaft, hören wir aus
dem Munde von Wanderschäfern über das tägliche Leben auf langem Viehtrieb
beiderseits der Pyrenäen.
Oder die Verhöre von Räubern, Dieben, Wegelagerern: wenn sie erzählen,
wie sie aus der Gesellschaft herausgefallen sind, etwa als Söldner in den oberitalie-
nischen Kriegen ans Rauben kamen und dann in ein geregeltes Leben nicht mehr
zurückfanden. Einer schildert, wie er wochenlang im Wald auf ein Opfer gewartet
habe; es kam aber keiner. Und so erfahren wir nicht nur Fakten und Daten, son-
dern auch Atmosphärisches, ganz Persönliches, wie wir es oft nicht einmal von
gekrönten Häuptern haben.
Also in Gerichtsakten, in Akten der kirchlichen und der staatlichen Re-
pression. Registriert, namentlich oder steckbrieflich registriert werden einfache
Menschen, ja gerade die Armen, auch in der peniblen Buchführung italienischer
Spitäler. Das ist schon viel, aber zu Worte kommen sie nicht, denn was sie sagen
würden, galt nicht nur als unerheblich für die Nachwelt, sondern auch für die Ge-
genwart. Nicht überlieferungswürdig - und in der Kunst nicht darstellungswür-
dig. Denn darstellungswürdig ist nicht der Arme als solcher, sondern das Werk der
Barmherzigkeit, das man an ihm tut, und erst das bringt den Armen ins Bild.
Aber argumentieren und von sich selbst berichten müssen sie, und gerade die
Kleinsten, auch dort, wo sie etwa eine Rente ergattern wollen wie der 75jährige
venezianische Matrose, der in seinem Pensionsantrag 1381 hintereinanderweg al-
le seine mitgemachten Flottenexpeditionen, Seeschlachten, Niederlagen mitsamt
den dabei empfangenen Wunden erinnert da LX anni in qua, „seit 60 Jahren“: das
sind 60 Jahre venezianische Seegeschichte aus der Perspektive eines kleinen Mat-
rosen. Solch direkte Bezugnahmen vom eigenen Leben auf das große Geschehen
sind für den Historiker natürlich besonders interessant, und so wird darauf noch
zurückzukommen sein.
Nicht weil wir aus Mangel an Kaiser-, Papst- oder Dogen-Urkunden darauf
angewiesen wären, große Fakten aus kleinen Aussagen zu rekonstruieren, wenden
wir uns solch unscheinbaren Quellen zu, sondern weil wir diese kleinen Aussagen

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