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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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A. Das akademische Jahr 2014
DOI chapter:
II. Wissenschaftliche Vorträge
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Esch, Arnold: Große Geschichte und kleines Leben. Wie Menschen in historischen Quellen zu Wort kommen: Akademievorlesung
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0114
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III. Veranstaltungen

die auf der Straße das spielen, was sie täglich um sich sehen, nämlich Krieg - und
sich dabei tödlich verletzen.
Zwar verhalf den Gesuchstellern beim Formulieren ein Prokurator zum
richtigen Latein und zu erfolgversprechenden juristischen Formeln. Aber die
persönliche Aussage der Gesuchsteller tritt immer klar hervor, stellenweise in
wörtlicher Rede, wie sie sich kein Prokurator einfallen lassen dürfte, etwa: „Eher
werde ich mir mit diesem Text den Hintern abwischen als ihn unterschreiben!“;
„Die Augen werde ich Dir ausreißen und reinbeißen!“, und ähnliche verbale Ex-
plosionen. Natürlich versuchten sie in ihrer Darlegung, ihren Schuldanteil zu
verkleinern und sich noch kleiner zu machen, als sie ohnehin schon waren. Aber
wenn der Historiker die Verzerrungstendenz erkennt, kann er in Gegenrichtung
entzerren. Es geht im Übrigen ja nicht um die Frage, ob die erzählten Episoden
sich im Einzelnen tatsächlich so und nicht anders abgespielt haben, sondern dass
sie mit den Augen der Zeit in der Sprache der Zeit beschrieben und von den
Menschen der Zeit als glaubhaft akzeptiert und nicht als ganz unmöglich zurück-
gewiesen wurden.
Sogar die frühe Beschreibung eines Fußballspiels findet sich da - denn beim
Zusammenprall zweier Spieler war einer zu Tode gekommen, und der schottische
Priester, der im Eifer des Spiels den Zusammenstoß verursacht hatte, wendet sich
nun an Rom. Er berichtet, „einer namens Robert Richards pilam currendo ad pedes
habuit“ (das lässt sich nicht anders übersetzen als mit: „hatte im Laufen den Ball
am Fuß geführt“, beim Dribbling also), da seien er selbst und ein John Patonson
(die heißen auch schon so, wie heute Spieler beim Celtic Glasgow heißen könn-
ten), er selbst und jener John in der Absicht, Robert den Ball abzujagen, aus ver-
schiedenen Richtungen herbeigerannt - und dabei passiert es. Das ist, 1441, eine
ganz frühe Beschreibung eines Fußballspiels (und wirklich Fußball, pila pedestris,
was bei Ballspielen sonst in den Quellen nämlich nicht immer klar ist): Fußball
so wie er, Geistliche und Laien gemischt, vor allem auf den Britischen Inseln an
Kirchenfesten zwischen Ortschaften oder Pfarrgemeinden gespielt wurde. Auch
bei Shakespeare kommt dann Fußball vor, in der Komödie der Irrungen (der Sklave
Dromio von Ephesus fühlt sich „like a football“ von seiner Herrin hin und her
getreten, dann solle sie ihn lieber erst in Leder einnähen). Aber das ist anderthalb
Jahrhunderte später.
Besonders interessant für den Historiker sind die Fälle, in denen diesen
Menschen nicht irgendwann irgendwas irgendwo passiert, sondern wo sie selbst
ausdrücklich Bezug nehmen auf ein historisches Ereignis ihrer Zeit, weil es un-
mittelbare Folgen für das eigene kleine Leben hatte. Anders gesagt: die großen
datierbaren Ereignisse, die der Historiker immer im Blick hat, werden hier auf
eine Ebene abgesenkt, auf der sich das große Geschehen in Einzelschicksale auf-
löst. Zum Beispiel: „Als Konstantinopel von den Türken erobert wurde, war ich
gerade dort und musste folgendes erleben ...“; „Als im Krieg zwischen England

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