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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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B. Die Forschungsvorhaben
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II. Tätigkeitsberichte
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3. Historische und rezente Hochwasserkonflikte an Rhein, Elbe und Donau im Spannungsfeld von Naturwissenschaft, Technik und Sozialökologie (Stuttgart)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0142
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B. Die Forschungsvorhaben

nicht zuletzt in zwei grundsätzlichen Ausprägungen: dem Massivwasserbau einer-
seits, dem naturnahen Wasserbau andererseits. Beide resultieren wesentlich aus
unterschiedlichen Deutungen von Welt (Parodi). Insbesondere mit der Fokussie-
rung des Projekts auf Konflikte rund um Hochwasserschutzmaßnahmen ist dieser
Antagonismus besonders auffällig. In solchen Auseinandersetzungen werden Pla-
nungs- und Entscheidungsprozesse zusätzlich - wenn nicht maßgeblich - durch
den sozialen Kontext im betroffenen Gebiet beeinflusst, so dass die Wahl einer
Wasserbauform oder der Verzicht auf eine solche keinesfalls nur auf ein gesamtge-
sellschaftliches Weltbild zurückzuführen ist.
Der Mensch ist seit jeher bemüht, Schäden durch Hochwasser zu entgehen.
Für die im Wandel der Zeit sehr unterschiedlichen Strategien war und ist es ent-
scheidend, was eine Gesellschaft als Hochwasserursache defmiert(e). Ein grund-
sätzlicher oder zumindest regionaler Wasserüberschuss als direkte Ursache einer
Überschwemmung ist zwar offensichtlich. Die Frage, die jedoch sehr unterschied-
lich beantwortet wird, lautet: Warum kommt es zu dem Überangebot an Wasser?
Im Laufe der Geschichte haben sich mehrere Antworten und aus ihnen Konzepte
entwickelt, die teils nacheinander, teils parallel bestanden oder bestehen. Von gro-
ßer Bedeutung ist in dieser Hinsicht die jeweilige Selbstverortung einer Gesell-
schaft, ihr Selbstverständnis im Mensch-Natur-Gottheiten-Universum. Hinzu
treten die tatsächlichen technischen Fähigkeiten, die Bildung sowie das Wissen um
die eigene Wirkmächtigkeit als weitere wichtige Komponenten. Zwischen ihnen
bestehen rege Rückkopplungen, und sie bilden das entscheidende Umfeld für eine
Ursachenbewertung und Strategie zur Problemlösung. Die wichtigsten Konzepte
im mitteleuropäischen Kontext seien hier umrissen:
In einem Weltbild, das die Natur als Herstellungsgegenstand (natura naturata)
und Werkzeug Gottes sieht, haben Naturkatastrophen einen göttlichen Auslöser -
die Natur kann nicht eigenmächtig „handeln“. Vielmehr ist sie ein Mittel Gottes,
um der Menschheit seinen Arger oder seine Zufriedenheit mitzuteilen: Der zür-
nende Gott straft die Menschen wegen ihrer Sünden; ausbleibende Katastrophen
können hingegen als Zeichen seiner Zufriedenheit gedeutet werden. Die Gründe
für ein Hochwasser liegen in diesem Fall im Innern der Gesellschaft. Aus techni-
scher Sicht kann es keinen wirksamen Schutz geben, da Gott diejenigen treffen
wird, die er strafen will - die biblische Sintflut zeigt, dass dann auch die höchsten
Gipfel der Erde keinen Schutz bieten. Eine logische, daraus abzuleitende Strate-
gie besteht in diesem Fall in einem gottesfürchtigen Leben, nicht in technischem
Hochwasserschutz.
Im Zeitalter von Aufklärung und Industrialisierung bildete sich ein grund-
sätzlich anderes Konzept heraus: Die Natur gibt die Gesetze vor, und diese Ge-
setze gilt es zu ergründen, um die Schranken der Natur zu übeiwinden. Eine
Naturkatastrophe wird immer weniger bis gar nicht als „Werk“ Gottes angesehen;
es gilt stattdessen, ihr mit technischen Mitteln zu widerstehen und die Natur zu

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