16. Metaphern und Modelle (WIN-Programm)
das Modell aber gerade überflüssig machen soll: Ist die Metapher eine Täuschung,
so ist das Modell eine ins Systematische gesteigerte Täuschung.
Deshalb erscheint es an der Zeit, Metaphern und Modellen auch aus politi-
scher und wissenschaftstheoretischer Sicht eine größere Beachtung zu schenken.
Bislang beschäftigt sich die Metaphernforschung ganz überwiegend mit dem äs-
thetischen und linguistischen Phänomen als solchem. In Deutschland geht dieser
vergleichsweise junge Wissenschaftszweig der Metaphorologie auf Hans Blumen-
berg zurück und wird heute insbesondere von Ralf Konersmann und Anselm
Haverkamp betrieben. Soweit ersichtlich, fehlt aber bislang eine intensivere Befas-
sung mit der Metapher unter politisch-kritischem und heuristischem Aspekt. Ers-
terer könnte sich insbesondere in den Sozialwissenschaften lohnen. So fällt dem
Verfasser etwa schon länger auf, dass die privatrechtliche Teildisziplin des Gesell-
schaftsrechts vollständig von martialischen Kampfmetaphern durchzogen ist: Da
werden etwa „feindliche Übernahmen“ und „räuberische Aktionäre“ „abgewehrt“
und abhängige Unternehmen als „Töchter“ beschrieben. Genderwissenschaftler
könnten hier der Frage nachgehen, ob diese maskulin-pubertären Assoziations-
räume eine subtile Abschreckungswirkung entfalten, was die gefühlt deutlich un-
terproportionale Präsenz von Frauen in diesen Feldern mit erklären helfen könnte.
Das Hauptaugenmerk sollte jedoch der heuristischen Funktion von Metaphern
gelten. Offensichtlich scheinen sie Fluch und Segen zugleich, erlauben sie doch
einerseits die unentbehrliche Modellierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, ste-
hen aber dem wissenschaftlichen Verstehen häufig auch im Weg, wenn sie mit
Daten, Messungen und Zusammenhängen konfrontiert werden, die außerhalb
ihres Vörstellungsraumes liegen. Ein treffendes Beispiel liefert etwa der Welle-
Teilchen-Dualismus des Lichts: Erst wenn man sich von einem der Modelle als
bloßer Zusammenfassung bestimmter Eigenschaften in bestimmten Zusammen-
hängen distanziert hat, wenn also der naturalistische Schein des Modells abge-
streift worden ist und es bewusst als Verbildlichung gedacht wird, erlangt man die
geistige Flexibilität, um dem tertium non datur des Entweder-Teilchen-oder-Welle
zu entkommen. In der Jurisprudenz wird ein ähnlicher Kategorienfehler unter
dem Begriff des naturalistischen Fehlschlusses diskutiert, wonach fehlerhaft von
einem Sein auf ein Sollen und umgekehrt geschlossen wird. So lässt sich vertreten,
dass die „juristische Person“ bis heute nicht durchschaut, also fälschlicherweise als
ein Ding, ein Sein genommen wird und auch Begriffe wie „Nichtigkeit“ usw. mit
naturalistischen Verirrungen aufgeladen werden. Eine wissenschaftliche Aufarbei-
tung von Metaphern und Modellen als heuristische Phänomene muss zunächst im
interdisziplinären Austausch einen Überblick darüber gewinnen, wie in den Geis-
tes- und Naturwissenschaften Metaphern und Modelle gebildet und gebraucht
werden, insbesondere, unter welchen Umständen alte durch neue Modelle abge-
löst werden. Ein erstes Zwischenziel könnte sodann darin bestehen, eine typisie-
rende Taxonomie für wissenschaftliche Metaphern und Modelle zu entwickeln
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das Modell aber gerade überflüssig machen soll: Ist die Metapher eine Täuschung,
so ist das Modell eine ins Systematische gesteigerte Täuschung.
Deshalb erscheint es an der Zeit, Metaphern und Modellen auch aus politi-
scher und wissenschaftstheoretischer Sicht eine größere Beachtung zu schenken.
Bislang beschäftigt sich die Metaphernforschung ganz überwiegend mit dem äs-
thetischen und linguistischen Phänomen als solchem. In Deutschland geht dieser
vergleichsweise junge Wissenschaftszweig der Metaphorologie auf Hans Blumen-
berg zurück und wird heute insbesondere von Ralf Konersmann und Anselm
Haverkamp betrieben. Soweit ersichtlich, fehlt aber bislang eine intensivere Befas-
sung mit der Metapher unter politisch-kritischem und heuristischem Aspekt. Ers-
terer könnte sich insbesondere in den Sozialwissenschaften lohnen. So fällt dem
Verfasser etwa schon länger auf, dass die privatrechtliche Teildisziplin des Gesell-
schaftsrechts vollständig von martialischen Kampfmetaphern durchzogen ist: Da
werden etwa „feindliche Übernahmen“ und „räuberische Aktionäre“ „abgewehrt“
und abhängige Unternehmen als „Töchter“ beschrieben. Genderwissenschaftler
könnten hier der Frage nachgehen, ob diese maskulin-pubertären Assoziations-
räume eine subtile Abschreckungswirkung entfalten, was die gefühlt deutlich un-
terproportionale Präsenz von Frauen in diesen Feldern mit erklären helfen könnte.
Das Hauptaugenmerk sollte jedoch der heuristischen Funktion von Metaphern
gelten. Offensichtlich scheinen sie Fluch und Segen zugleich, erlauben sie doch
einerseits die unentbehrliche Modellierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, ste-
hen aber dem wissenschaftlichen Verstehen häufig auch im Weg, wenn sie mit
Daten, Messungen und Zusammenhängen konfrontiert werden, die außerhalb
ihres Vörstellungsraumes liegen. Ein treffendes Beispiel liefert etwa der Welle-
Teilchen-Dualismus des Lichts: Erst wenn man sich von einem der Modelle als
bloßer Zusammenfassung bestimmter Eigenschaften in bestimmten Zusammen-
hängen distanziert hat, wenn also der naturalistische Schein des Modells abge-
streift worden ist und es bewusst als Verbildlichung gedacht wird, erlangt man die
geistige Flexibilität, um dem tertium non datur des Entweder-Teilchen-oder-Welle
zu entkommen. In der Jurisprudenz wird ein ähnlicher Kategorienfehler unter
dem Begriff des naturalistischen Fehlschlusses diskutiert, wonach fehlerhaft von
einem Sein auf ein Sollen und umgekehrt geschlossen wird. So lässt sich vertreten,
dass die „juristische Person“ bis heute nicht durchschaut, also fälschlicherweise als
ein Ding, ein Sein genommen wird und auch Begriffe wie „Nichtigkeit“ usw. mit
naturalistischen Verirrungen aufgeladen werden. Eine wissenschaftliche Aufarbei-
tung von Metaphern und Modellen als heuristische Phänomene muss zunächst im
interdisziplinären Austausch einen Überblick darüber gewinnen, wie in den Geis-
tes- und Naturwissenschaften Metaphern und Modelle gebildet und gebraucht
werden, insbesondere, unter welchen Umständen alte durch neue Modelle abge-
löst werden. Ein erstes Zwischenziel könnte sodann darin bestehen, eine typisie-
rende Taxonomie für wissenschaftliche Metaphern und Modelle zu entwickeln
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