Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

DOI Kapitel:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Artikel:
Mair, Christian: Christian Mair: Antrittsrede vom 19. Juli 2014
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0328
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

Einsicht gelangt, dass die nationalen Varietäten der plurizentrischen Weltsprache
Englisch in einem komplexen Verhältnis von Konvergenz und Divergenz stehen.
In der Aussprache driften das Britische und Amerikanische weiter auseinander.
Was das Vokabular betrifft, nimmt die ganze englischsprachige Welt amerikanische
Innovationen meist bereitwillig auf. Der Blick in die Grammatik schließlich - also
den sich über lange Zeiträume relativ träge entwickelnden strukturellen Kern des
Sprachsystems -, lehrt uns, wie lächerlich kurz der Zeitraum ist, den wir in einem
Menschenleben überblicken können. Was sich heute als Kontrast zwischen briti-
schem und amerikanischem Englisch darstellt, ist oft ephemer - ein vorüberge-
hendes Auseinandergehen in einer historischen Tiefenströmung, in der sich beide
Varietäten mit gelegentlich leicht unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf dem
gleichen Weg zum selben Ziel bewegen.
Vom britischen und amerikanischen Englisch ausgehend wandte ich mich
schließlich den postcolonial Englishes zu, mit Schwerpunkt auf der Karibik und West-
afrika. Die Lehre, die ich aus diesen Arbeiten gezogen habe, ist, dass wir Anglisten
eine Aufgabe in diesem Gebiet recht gut bewältigt haben, nämlich die Aufarbei-
tung der sprachlichen Folgen des Kolonialismus, dass wir bei einer anderen, eben-
so wichtigen allerdings erst am Anfang stehen: nämlich der Erfassung der Rolle des
Englischen in einer mehrsprachigen Welt in der Ara der gegenwärtigen kulturellen
Globalisierung.
Um dies an einem konkreten Beispiel zu illustrieren. Die Kreolsprachen, die
auf den Sklavenplantagen der Karibik im 17. und 18. Jahrhundert entstanden, ha-
ben eine lange historische Tradition. In den drei Jahrhunderten kolonialer Herr-
schaft in den British West Indies wurden sie nie anders wahrgenommen denn als
bad oder broken English - mit dem Ergebnis, dass die Verachtung von außen sich in
kolonialer Entfremdung und gefährdetem Selbstwertgefühl im Innern spiegelte
(notin blak nogud, wie es im jamaikanischen Kreol heißt). Heute sind Elemente des
jamaikanischen Kreols zu semiotischen Ressourcen in der Jugendkultur des glo-
balen Nordens geworden, und zwar nicht nur in London, New York und Toronto,
sondern auch in Mailand, Moskau und Tokyo - drei Orten, die der lange Schatten
des britischen Kolonialreichs nie erreicht hat.
Im Moment untersuche ich solche Prozesse sprachlicher Vermischung und
Hybridisierung vor allem mit Hilfe von Daten aus dem partizipativen Internet
- und frage mich, warum ein Kameruner, der eine französischsprachige Schulbil-
dung absolviert hat, das Verb whitiser gebraucht, wenn er sagen will „parier frangais
comme en France.“
Mit dem Themenkomplex Sprache und kulturelle Globalisierung sind wir
dann sehr rasch bei uns in Deutschland angelangt. Denken Sie nur an die Anglizis-
mendebatte, zu der ich hier nur so viel sagen will, dass sich trotz reger öffentlicher
Diskussion in den letzten Jahren argumentativ doch Einiges im Kreis gedreht hat
und neue Impulse vonnöten wären. Ich schließe lieber mit einem Blick auf unsere

330
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften