Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2017 an Jan und Aleida Assmann
2. Medien und Öffentlichkeit
Bei der Verleihung des Friedenspreises an Karl Jaspers hat Hannah Arendt die
Laudatio gehalten. Darin hat sie ihren Lehrer als einen Denker vorgestellt, der
eng mit Öffentlichkeit verbunden ist. Jaspers habe, so Arendt, mit jedem seiner
Worte die „humanitas“ verkörpert, und zwar gerade auch in Zeiten, als Öffent-
lichkeit mundtot gemacht wurde. Die Begriffe Öffentlichkeit und humanitas ge-
hen bei Hannah Arendt ineinander über. Sie unterscheidet Jaspers von anderen
deutschen Philosophen, die die Wahrheit im Geheimnis, im Schweigen, in der
mystischen Offenbarung oder im elitären Austausch suchen und betont Jaspers4
Aufwertung der Öffentlichkeit, sein „Ja zur Öffentlichkeit“. Diese Öffentlich-
keit ist keine vorbereitete Bühne, auf der das Mikrofon bereits eingeschaltet ist,
sondern ein Raum, der erst durch Sprache hergestellt werden muss. Wie der Po-
litiker, so haftet auch der Philosoph Jaspers mit seiner Person, als müsse er sich
„vor der ganzen Menschheit verantworten“. Öffentlichkeit entsteht für Arendt
durch Übernahme solcher Verantwortung durch Repräsentanten und Fürspre-
cher der humanitas.
Unser Verständnis von Öffentlichkeit hat sich mehrfach gewandelt. Wir
schauen zurück auf Mittelalter und frühe Neuzeit, wo der Begriff der Öffent-
lichkeit an den Begriff der Repräsentation geknüpft war. Öffentlichkeit wurde
hergestellt durch die Zur-Schau-Stellung von staatlicher und kirchlicher Macht
vor anwesenden Zuschauern. Sie wurde im öffentlichen Stadtraum als politi-
sches oder religiöses Zeremonial inszeniert, wozu Prozessionen, Proklamati-
onen und Hinrichtungen gehörten. Dieser theatralische, an Anwesenheit und
einen gemeinsamen Sehe-Raum gebundene Begriff von Öffentlichkeit wurde
seit dem 16. Jahrhundert ergänzt durch einen Kommunikationsraum, der mit-
hilfe des Buchdrucks und der Reproduktion von Wort und Bild über die sinn-
liche Wahrnehmung und die Grenzen der Länder hinaus erweitert wurde. Seit
dem 18. Jahrhundert erschuf sich das wirtschaftlich mächtig gewordene Bürger-
tum einen neuen Vorstellungs-, Denk- und Diskussionsraum im Medium von
Buchdruck und Zeitungswesen. Mit diesen neuen Formen der fiktionalen und
der politischen Imagination änderten sich die Formen des Zusammenhalts und
der Repräsentation.
Es sind also gerade auch die jeweiligen (Leit-)Medien, die Öffentlichkeit
herstellen. Nach dem Repräsentations- und Druckzeitalter kamen im Laufe des
20. Jahrhundert gleich vier neue Öffentlichkeitsmedien hinzu. Auf sichtbare In-
szenierung und Buchdruck folgten Photographie, Radio, Fernsehen und Internet.
Diese medialen Öffentlichkeiten sind aufeinander gefolgt, aber sie haben sich kei-
neswegs gegenseitig verdrängt. Sie existieren weiterhin nebeneinander, miteinan-
der und überlappen sich. Wir stehen gegenwärtig an einer Schwelle, an der sich
der Begriff der Öffentlichkeit und mit ihm der Begriff des kulturellen Gedächtnis-
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2. Medien und Öffentlichkeit
Bei der Verleihung des Friedenspreises an Karl Jaspers hat Hannah Arendt die
Laudatio gehalten. Darin hat sie ihren Lehrer als einen Denker vorgestellt, der
eng mit Öffentlichkeit verbunden ist. Jaspers habe, so Arendt, mit jedem seiner
Worte die „humanitas“ verkörpert, und zwar gerade auch in Zeiten, als Öffent-
lichkeit mundtot gemacht wurde. Die Begriffe Öffentlichkeit und humanitas ge-
hen bei Hannah Arendt ineinander über. Sie unterscheidet Jaspers von anderen
deutschen Philosophen, die die Wahrheit im Geheimnis, im Schweigen, in der
mystischen Offenbarung oder im elitären Austausch suchen und betont Jaspers4
Aufwertung der Öffentlichkeit, sein „Ja zur Öffentlichkeit“. Diese Öffentlich-
keit ist keine vorbereitete Bühne, auf der das Mikrofon bereits eingeschaltet ist,
sondern ein Raum, der erst durch Sprache hergestellt werden muss. Wie der Po-
litiker, so haftet auch der Philosoph Jaspers mit seiner Person, als müsse er sich
„vor der ganzen Menschheit verantworten“. Öffentlichkeit entsteht für Arendt
durch Übernahme solcher Verantwortung durch Repräsentanten und Fürspre-
cher der humanitas.
Unser Verständnis von Öffentlichkeit hat sich mehrfach gewandelt. Wir
schauen zurück auf Mittelalter und frühe Neuzeit, wo der Begriff der Öffent-
lichkeit an den Begriff der Repräsentation geknüpft war. Öffentlichkeit wurde
hergestellt durch die Zur-Schau-Stellung von staatlicher und kirchlicher Macht
vor anwesenden Zuschauern. Sie wurde im öffentlichen Stadtraum als politi-
sches oder religiöses Zeremonial inszeniert, wozu Prozessionen, Proklamati-
onen und Hinrichtungen gehörten. Dieser theatralische, an Anwesenheit und
einen gemeinsamen Sehe-Raum gebundene Begriff von Öffentlichkeit wurde
seit dem 16. Jahrhundert ergänzt durch einen Kommunikationsraum, der mit-
hilfe des Buchdrucks und der Reproduktion von Wort und Bild über die sinn-
liche Wahrnehmung und die Grenzen der Länder hinaus erweitert wurde. Seit
dem 18. Jahrhundert erschuf sich das wirtschaftlich mächtig gewordene Bürger-
tum einen neuen Vorstellungs-, Denk- und Diskussionsraum im Medium von
Buchdruck und Zeitungswesen. Mit diesen neuen Formen der fiktionalen und
der politischen Imagination änderten sich die Formen des Zusammenhalts und
der Repräsentation.
Es sind also gerade auch die jeweiligen (Leit-)Medien, die Öffentlichkeit
herstellen. Nach dem Repräsentations- und Druckzeitalter kamen im Laufe des
20. Jahrhundert gleich vier neue Öffentlichkeitsmedien hinzu. Auf sichtbare In-
szenierung und Buchdruck folgten Photographie, Radio, Fernsehen und Internet.
Diese medialen Öffentlichkeiten sind aufeinander gefolgt, aber sie haben sich kei-
neswegs gegenseitig verdrängt. Sie existieren weiterhin nebeneinander, miteinan-
der und überlappen sich. Wir stehen gegenwärtig an einer Schwelle, an der sich
der Begriff der Öffentlichkeit und mit ihm der Begriff des kulturellen Gedächtnis-
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