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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
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II. Nachrufe
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Reinhard, Wolfgang: Ernst Schulin (12.10.1929–13.2.2017)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0368
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Nachruf auf Ernst Schulin

truction ofjewish History in Nineteenth-Century Germany (1996), vor allem aber seine
Arbeiten zu der wichtigen deutsch-jüdischen Gestalt Walther Rathenau, gipfelnd
in einer kurzen Biographie (1979, 2. Aufl. 1992). Seit seinem Probevortrag im Ha-
bilitationsverfahren 1965 über Walther Rathenau und die deutsche Außenpolitik
1921/22 blieb Schulin von diesem Manne fasziniert. „Da er Wirtschaft, Kultur-
philosophie und Politik verband, in seiner Zeit praktisch tätig war und über sie
kritisch reflektierte, fand ich gewissermaßen von meinen unterschiedlichen his-
torischen Interessen Zugang zu ihm, darunter auch von meinem Interesse an der
Geschichte des deutschen Judentums, das mich schon vorher zur Zusammenarbeit
mit dem Leo-Baeck-Institut London geführt hatte“ (Schulin in seiner Antrittsrede
1982). Schulin wurde Mitglied der Walther-Rathenau-Gesellschaft und Heraus-
geber der Hauptwerke und Gespräche sowie Mitherausgeber der Briefe 1871-1922,
das sind die Bände 2 (1977) und 5 (2006) der sechsbändigen Walther Rathenau Ge-
samtausgabe. Er hat in diesem Zusammenhang für eine ca. 100.000 Blatt umfas-
sende Kopie des 1992 in Moskau entdeckten Rathenau-Nachlasses gesorgt. Noch
sein unvollendetes letztes Projekt sollte der Geschichte einer deutsch-jüdischen
Familie gewidmet sein.
Als geschätzter akademischer Lehrer hat Schulin dank seiner verschiedenen
Interessengebiete zahlreiche Schüler angezogen. Genannt seien nur die Heraus-
geber seiner Festschrift Universalgeschichte und Nationalgeschichten (1994) Gangolf
Hübinger, Jürgen Osterhammel und Erich Pelzer. Eine seiner Studentinnen, die
heute in England lehrt, hat anlässlich seines Todes ihre guten Erinnerungen an ihn
so formuliert: „Er war ein anregender Lehrer mit moralischer Autorität. Es ging
immer um mehr als nur die Historie, [sondern] letztlich um den Historiker und
seine Verpflichtung gegenüber der Geschichte und der Polis.“ Schulin war auch
ein engagierter evangelischer Christ, der 1983 ein kleine Geschichte der Evangelischen
Kirchengemeinde Freiburg 1807-1982 veröffentlichte, vor allem aber ein überaus ge-
bildeter und musischer, insbesondere musikalischer Mensch, vielleicht einer der
letzten traditionellen Historiker von gelassener und feinsinniger Kultiviertheit.
Wolfgang Reinhard

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