Nachruf auf Eberhard Jäckel
kreisten um eine Schlüsselfrage: Wann und wie ist der Entschluss gefasst worden,
die Juden im nationalsozialistischen Herrschaftsraum in einem erbarmungslosen
Vernichtungsfeldzug zu ermorden? 1984 organisierte Jäckel einen großen inter-
nationalen Kongress zu eben dieser Frage, wohl in der Eiwartung, der Antwort
einen wesentlichen Schritt näher zu kommen. Sie wurde enttäuscht. Aber Jäckel
ließ das Thema nicht los. Noch 1997 wählte er es für seinen Vortrag auf der Jah-
resfeier der Akademie. „Wie kam es zum Mord an den europäischen Juden?“ war
er überschrieben.
Die verfügbaren Quellen - Jäckel war als Historiker immer bestrebt, so quel-
lennah wie möglich zu arbeiten - geben keine unmittelbare Antwort. Ein schrift-
licher Vernichtungsbefehl Hitlers ist bis heute nicht aufgetaucht. Nach Jäckels
Überzeugung gab es ihn auch nicht. Gleichwohl hatte Jäckel keinen Zweifel daran,
dass die Vernichtung durch eine ausdrückliche Entscheidung, die nur als eine Ent-
scheidung Hitlers gedacht werden kann, in Gang gesetzt wurde. Und dass diese
Entscheidung als Vollzug der Weltanschauung Hitlers verstanden werden muss.
Jäckel glaubte sogar, sie genau datieren zu können - auf den 17. September 1941.
Dass seine Paladine, Jäckel nennt im besonderen Goebbels und Heydrich, Hitler
offenbar vorwärtsgedrängt haben, spricht nicht gegen die Schlüsselrolle Hitlers.
Dieses „Vorwärtsdrängen“ entsprang einem Bestreben, dem Führer willfährig zu
sein, sich ihm als seine getreuesten Helfer zu präsentieren. Und bestätigt so eher,
dass das ganze Herrschaftssystem auf Hitler ausgerichtet war; dass keine wesentli-
che Entscheidung an ihm vorbei oder gar gegen ihn getroffen wurde.
Jäckel hat mit seiner Suche nach dem einen Entschluss, der die große Vernich-
tungsaktion in Gang setzte, und mit seiner Betonung der Schlüsselrolle Hitlers
nicht nur Zustimmung in der Zunft gefunden. Die Holocaust-Forschung hat sich
eher andere Fragen gestellt, ist methodisch andere Wege gegangen. In der deut-
schen Forschung vor allem hat man Jäckel die These entgegengestellt, dass die
Ermordung der europäischen Juden nicht auf einen bestimmten, datierbaren Ent-
schluss Hitlers zurückgeführt werden könne, sondern das Ergebnis einer Kette
sich ständig radikalisierender Reaktionen auf die Gegebenheiten, die der Krieg in
seinem wechselvollen Verlauf hervorbrachte, gewesen sei. Es mag sein, dass die
Deutungskontroverse um die mörderische Dynamik, die den Holocaust voran-
trieb, zu jenen geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen gehört, die
sich nicht abschließend entscheiden lassen, weil komplexe Konstellationen dau-
erhaft für mehrere Interpretationen offen bleiben. Jedenfalls aber hat Jäckel viel
getan, um seiner Deutung des Geschehens das nach der gegebenen Quellenlage
erreichbare Maß an Plausibilität zu geben.
Bei allem wissenschaftlichen Streit über die Frage, wie es zum Holocaust kam
-Jäckels Urteil über das Geschehen an sich war von größter Eindeutigkeit. Auch
unter den Großverbrechen des 20. Jahrhunderts stehe der Mord an den europäi-
schen Juden einzigartig dar. Und es seien, was immer an Kollaboration sich ereignet
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kreisten um eine Schlüsselfrage: Wann und wie ist der Entschluss gefasst worden,
die Juden im nationalsozialistischen Herrschaftsraum in einem erbarmungslosen
Vernichtungsfeldzug zu ermorden? 1984 organisierte Jäckel einen großen inter-
nationalen Kongress zu eben dieser Frage, wohl in der Eiwartung, der Antwort
einen wesentlichen Schritt näher zu kommen. Sie wurde enttäuscht. Aber Jäckel
ließ das Thema nicht los. Noch 1997 wählte er es für seinen Vortrag auf der Jah-
resfeier der Akademie. „Wie kam es zum Mord an den europäischen Juden?“ war
er überschrieben.
Die verfügbaren Quellen - Jäckel war als Historiker immer bestrebt, so quel-
lennah wie möglich zu arbeiten - geben keine unmittelbare Antwort. Ein schrift-
licher Vernichtungsbefehl Hitlers ist bis heute nicht aufgetaucht. Nach Jäckels
Überzeugung gab es ihn auch nicht. Gleichwohl hatte Jäckel keinen Zweifel daran,
dass die Vernichtung durch eine ausdrückliche Entscheidung, die nur als eine Ent-
scheidung Hitlers gedacht werden kann, in Gang gesetzt wurde. Und dass diese
Entscheidung als Vollzug der Weltanschauung Hitlers verstanden werden muss.
Jäckel glaubte sogar, sie genau datieren zu können - auf den 17. September 1941.
Dass seine Paladine, Jäckel nennt im besonderen Goebbels und Heydrich, Hitler
offenbar vorwärtsgedrängt haben, spricht nicht gegen die Schlüsselrolle Hitlers.
Dieses „Vorwärtsdrängen“ entsprang einem Bestreben, dem Führer willfährig zu
sein, sich ihm als seine getreuesten Helfer zu präsentieren. Und bestätigt so eher,
dass das ganze Herrschaftssystem auf Hitler ausgerichtet war; dass keine wesentli-
che Entscheidung an ihm vorbei oder gar gegen ihn getroffen wurde.
Jäckel hat mit seiner Suche nach dem einen Entschluss, der die große Vernich-
tungsaktion in Gang setzte, und mit seiner Betonung der Schlüsselrolle Hitlers
nicht nur Zustimmung in der Zunft gefunden. Die Holocaust-Forschung hat sich
eher andere Fragen gestellt, ist methodisch andere Wege gegangen. In der deut-
schen Forschung vor allem hat man Jäckel die These entgegengestellt, dass die
Ermordung der europäischen Juden nicht auf einen bestimmten, datierbaren Ent-
schluss Hitlers zurückgeführt werden könne, sondern das Ergebnis einer Kette
sich ständig radikalisierender Reaktionen auf die Gegebenheiten, die der Krieg in
seinem wechselvollen Verlauf hervorbrachte, gewesen sei. Es mag sein, dass die
Deutungskontroverse um die mörderische Dynamik, die den Holocaust voran-
trieb, zu jenen geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen gehört, die
sich nicht abschließend entscheiden lassen, weil komplexe Konstellationen dau-
erhaft für mehrere Interpretationen offen bleiben. Jedenfalls aber hat Jäckel viel
getan, um seiner Deutung des Geschehens das nach der gegebenen Quellenlage
erreichbare Maß an Plausibilität zu geben.
Bei allem wissenschaftlichen Streit über die Frage, wie es zum Holocaust kam
-Jäckels Urteil über das Geschehen an sich war von größter Eindeutigkeit. Auch
unter den Großverbrechen des 20. Jahrhunderts stehe der Mord an den europäi-
schen Juden einzigartig dar. Und es seien, was immer an Kollaboration sich ereignet
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