Antrittsrede von Thomas Schwinn
terschiede“ von Pierre Bourdieu und 1984 Niklas Luhmanns „Soziale Systeme“.
Nicht diese Autoren haben mich jedoch in den Bann geschlagen, sondern das Werk
Max Webers. Die Boom-Phase des Manismus in den 1960er und 70er Jahren war
vorüber und in diesem Zusammenhang kam es zu einer umfassenden Interpretation
und Aneignung des berühmten Heidelberger Soziologen. Mit Wolfgang Schluch-
ter und Rainer Lepsius hatte man ungemein scharfsinnige Lehrer, die einem die
Begeisterungsfähigkeit für Weber vermitteln konnten. Das Werk dieses Autors hat
mich bis heute nicht losgelassen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass ich
bei ihm Antworten auf jene Fragen bekam, die mich zur Soziologie brachten. Max
Weber hat wie kaum ein anderer Theoretiker die Signatur unserer Epoche auf den
Begriff gebracht. Und dies in einerWeise, die immer auch die Lebensführungspro-
bleme und -möglichkeiten des Individuums in der Moderne mitreflektiert. Für das
Gefühl der Unbehaustheit des Lebens bekam man überzeugende Deutungsmög-
lichkeiten, wenn auch keine einfachen Antworten oder gar Ratschläge, wie man sein
Leben führen solle. Attraktiv erscheint mir allerdings sein Vorschlag, Wissenschaft-
lichkeit und Intellektualität als eine Weise des Umgangs mit den Unwägbarkeiten
des Lebens zu erachten. „Wissenschaft als Beruf“, so der Titel seines berühmten
Vortrages, ist eben mehr als Beruf, ist zugleich eine bestimmte Lebensform.
Nun ist mir die bisherige Darstellung vielleicht etwas zu pathetisch und ge-
radlinig geraten: Student sucht Orientierungshilfe und findet sie. Das bleibt si-
cherlich ein Strang und Antrieb wissenschaftlichen Arbeitens, er reicht aber wohl
für eine wissenschaftliche Karriere nicht aus. Neue tragende Motive kommen
durch die Sozialisation in wissenschaftlichen Institutionen hinzu: die Lust am wis-
senschaftlichen Arbeiten und Nachdenken um seiner selbst willen, die Freude an
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die eigene Position dem wissenschaft-
lichen Streitgespräch, der Konkurrenz der verschiedenen Ansätze auszusetzen.
Wissenschaftliche Karrieren sind insofern meistens überdeterminiert, von
mehreren Motiven getragen und getrieben. Nur so kann ich es mir erklären, den
mittlerweile mehrere Jahrzehnte dauernden Weg durch- und beizubehalten - zu-
mal in einem institutionellen Kontext, der Fremdsanktionen zugunsten von Ei-
genmotivationen stark zurückfährt.
In meiner wissenschaftlichen Laufbahn habe ich drei Rufe erhalten. Der ers-
te Ruf führte mich an die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, mit dem
letzten bin ich an den Studien- und Ausbildungsort, die Universität Heidelberg,
zurückgekehrt - zwei Universitäten, die heterogener nicht sein können.
Abschließen möchte ich meine Antrittsrede mit einigen Bemerkungen zu
meinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten.
Diese liegen im Bereich der soziologischen Theorie. Hier sind insbeson-
dere die Grundlagenforschung, die Differenzierungs- und Ungleichheitstheo-
rien sowie die vergleichende Modernisierungs- und Globalisierungsforschung
zu nennen.
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terschiede“ von Pierre Bourdieu und 1984 Niklas Luhmanns „Soziale Systeme“.
Nicht diese Autoren haben mich jedoch in den Bann geschlagen, sondern das Werk
Max Webers. Die Boom-Phase des Manismus in den 1960er und 70er Jahren war
vorüber und in diesem Zusammenhang kam es zu einer umfassenden Interpretation
und Aneignung des berühmten Heidelberger Soziologen. Mit Wolfgang Schluch-
ter und Rainer Lepsius hatte man ungemein scharfsinnige Lehrer, die einem die
Begeisterungsfähigkeit für Weber vermitteln konnten. Das Werk dieses Autors hat
mich bis heute nicht losgelassen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass ich
bei ihm Antworten auf jene Fragen bekam, die mich zur Soziologie brachten. Max
Weber hat wie kaum ein anderer Theoretiker die Signatur unserer Epoche auf den
Begriff gebracht. Und dies in einerWeise, die immer auch die Lebensführungspro-
bleme und -möglichkeiten des Individuums in der Moderne mitreflektiert. Für das
Gefühl der Unbehaustheit des Lebens bekam man überzeugende Deutungsmög-
lichkeiten, wenn auch keine einfachen Antworten oder gar Ratschläge, wie man sein
Leben führen solle. Attraktiv erscheint mir allerdings sein Vorschlag, Wissenschaft-
lichkeit und Intellektualität als eine Weise des Umgangs mit den Unwägbarkeiten
des Lebens zu erachten. „Wissenschaft als Beruf“, so der Titel seines berühmten
Vortrages, ist eben mehr als Beruf, ist zugleich eine bestimmte Lebensform.
Nun ist mir die bisherige Darstellung vielleicht etwas zu pathetisch und ge-
radlinig geraten: Student sucht Orientierungshilfe und findet sie. Das bleibt si-
cherlich ein Strang und Antrieb wissenschaftlichen Arbeitens, er reicht aber wohl
für eine wissenschaftliche Karriere nicht aus. Neue tragende Motive kommen
durch die Sozialisation in wissenschaftlichen Institutionen hinzu: die Lust am wis-
senschaftlichen Arbeiten und Nachdenken um seiner selbst willen, die Freude an
wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die eigene Position dem wissenschaft-
lichen Streitgespräch, der Konkurrenz der verschiedenen Ansätze auszusetzen.
Wissenschaftliche Karrieren sind insofern meistens überdeterminiert, von
mehreren Motiven getragen und getrieben. Nur so kann ich es mir erklären, den
mittlerweile mehrere Jahrzehnte dauernden Weg durch- und beizubehalten - zu-
mal in einem institutionellen Kontext, der Fremdsanktionen zugunsten von Ei-
genmotivationen stark zurückfährt.
In meiner wissenschaftlichen Laufbahn habe ich drei Rufe erhalten. Der ers-
te Ruf führte mich an die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, mit dem
letzten bin ich an den Studien- und Ausbildungsort, die Universität Heidelberg,
zurückgekehrt - zwei Universitäten, die heterogener nicht sein können.
Abschließen möchte ich meine Antrittsrede mit einigen Bemerkungen zu
meinen Arbeits- und Forschungsschwerpunkten.
Diese liegen im Bereich der soziologischen Theorie. Hier sind insbeson-
dere die Grundlagenforschung, die Differenzierungs- und Ungleichheitstheo-
rien sowie die vergleichende Modernisierungs- und Globalisierungsforschung
zu nennen.
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