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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder
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II. Nachrufe
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Schluchter, Wolfgang: M. Rainer Lepsius (8. 5.1928 – 2.10.2014)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0352
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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

Demos vollzog - wobei er den Titel eines Buches von Emerich K. Francis aufgriff,
dessen Assistent er in München gewesen war sah er als einen großen Fortschritt
vor und noch mehr nach der Wiedervereinigung an.
Überhaupt die Wiedervereinigung: Hier zeigte sich Lepsius in der Fülle sei-
ner Möglichkeiten. Zunächst als empirischer Forscher, dem es darum ging, die
Mechanismen von Parteiherrschaft und Planwirtschaft aus der Perspektive der
Teilnehmenden aufzudecken. Zusammen mit Theo Pirker, dem Altfreund aus
Münchner industriesoziologischen Tagen, dem er noch in fortgeschrittenem Alter
auf unorthodoxe Weise zu einer akademischen Karriere verhülfen hatte, und un-
terstützt von Rainer Weinert und Hans-Hermann Hertle, verwertete er Gespräche,
die das Team mit wichtigen DDR-Funktionären, von Günter Mittag über Alexan-
der Schalck-Golodkowski und Gerhard Schürer bis Helmut Koziolek, führte, um
die Strukturbedingungen und Funktionsweise vor allem des Wirtschaftssystems
der DDR aufzudecken, für mich einer der wichtigsten soziologischen Beiträge,
um nach vollzogenem Beitritt zur Bundesrepublik die DDR zu verstehen. Dabei
war sich das Team durchaus darüber im Klaren, dass die Antworten der ehemali-
gen Funktionäre auf die ,westlichen4 Fragen nicht frei von Reinterpretation, auch
von Selbstrechtfertigung sein konnten. Aber das daraus entstehende Bild bleibt
trotz dieser Vorbehalte wertvoll. Lepsius und Pirker beklagten, dass Ähnliches
nicht nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes geschah.
Mit der Wiedervereinigung gewann Rainer Lepsius zudem wieder freien Zu-
gang zu wichtigen Stätten seiner Familiengeschichte. Der Name Richard Lepsi-
us, des großen Ägyptologen, ist mit Naumburg verbunden, der Name Johannes
Lepsius, des Kämpfers gegen den Genozid am armenischen Volk, mit Potsdam.
Als historischer Soziologe hatte Rainer Lepsius noch zu DDR-Zeiten aus Anlass
des 100. Todestages im Jahre 1984 Richard Lepsius und seiner Familie eine seiner
Fallstudien gewidmet. Es war eine Fallstudie zum Bildungsbürgertum als einer
ständischen Vergemeinschaftung. Rainer Lepsius regte schon früh eine Sozialge-
schichte des Bürgertums an, ganz in der Tradition Max Webers und mit der Inten-
tion, ein besonderes sozialmoralisches Milieu zu charakterisieren und begrifflich
zu differenzieren: in ein Wirtschafts-, Dienstleistungs- und politisches Bürgertum.
Bourdieu lässt grüßen. Daraus wurde dann ein großes sozialhistorisches Projekt,
an dem er sich allerdings nur noch am Rande beteiligte.
Aber die Wiedervereinigung forderte Rainer Lepsius auch als Professionspo-
litiker. Das war er schon lange. Bereits die Denkschrift zur Lage der Soziologie
und Politischen Wissenschaft aus dem Jahre 1961 zeigte ihn auf dieser Bahn. 1971
(bis 1974) übernahm er unter denkbar ungünstigen Bedingungen den Vorsitz der
Deutschen Gesellschaft für Soziologie, um sie zu reorganisieren und ihr, nach den
Stürmen der vorangegangenen Jahre und der Satzungsdebatte, den Charakter einer
offenen professionellen Organisation zu geben. Dadurch verhinderte er letztlich
die drohende Spaltung und vermittelte zwischen den verschiedenen soziologi-

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