Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie'
„Von Böswichten und herrlichen Musicanten.
Schulzeugnisse im 17. Jahrhundert"
Mitarbeitervortrag von Dr. Sabine Arend am 23. Juli 2014
Bei der Recherche nach Originaldokumenten in Archiven und Bibliotheken kom-
men zuweilen nicht nur diejenigen Stücke zum Vorschein, denen das eigentliche
Erkenntnisinteresse gilt, sondern auch darüber hinausgehende Quellen. So las-
sen sich die im Stadtarchiv Esslingen überlieferten Schülerzeugnisse als ein Ne-
benertrag bei der Suche nach evangelischen Kirchenordnungen verbuchen, denn
Schulen gehörten seit je her zum kirchlichen Bereich und wurden vor dem Hin-
tergrund der Reformation ebenfalls konfessionalisiert. In Vorbereitung des Bandes
mit Kirchenordnungen südwestdeutscher Reichsstädte, zu denen auch Esslingen
gehörte, wurde ich vor einigen Jahren auf eine Mappe mit Schulzeugnissen aus
dem 17. Jahrhundert aufmerksam. Genau genommen handelt es sich dabei nicht
um Zeugnisse, wie wir sie heute kennen, nämlich Bewertungen der Schülerleis-
tungen in einzelnen Fächern mit Noten von „sehr gut“ bis „ungenügend“, die den
Schülern ausgehändigt wurden, sondern um Berichte, die die Rektoren der Ess-
linger Lateinschule bei der städtischen Schulbehörde einreichen mussten. Diese
Beurteilungen, in denen sie das Fortkommen der einzelnen Schüler beschrieben,
wurden auch nicht für alle Lateinschüler verfasst, sondern nur für die sogenannten
„Alumnen“. Dies waren Schüler, die ein städtisches Schulstipendium erhielten,
die also auf Kosten der Stadt die Lateinschule besuchten und in einer Art Internat
lebten.
Die Gründung des Esslinger Schulstipendiums geht auf die Anregung Lukas
Osianders des Älteren zurück. Das Alumneum, das auch „Collegium pauperum“
hieß, war am 29. Juli 1598 gestiftet worden. Laut Stiftungsdekret wurde die Anstalt
„aus christlicher Intention, Gott zu Lob und Ehren, zu Nutzen gemeiner Stadt
und Kirchen, Fortpflantzung der Studien, insonderheit aber Aufrichtung und Er-
haltung der Musik“ eingerichtet, damit „8 Bürgerskinder unentgeltlich darein auf-
genommen und unterhalten und anfänglich in des Provisoris Haus gespeiset und
alimentiert werden sollen“.
Der Rat stellte den begabten Söhnen minderbemittelter Eltern also Kost und
Logis zur Verfügung und erließ ihnen die Zahlung des Schulgelds. Er verfolgte
mit dieser Initiative mehrere Ziele: Erstens sollten die Stipendiaten, die eine um-
fassende musikalische Ausbildung erhielten, die Kirchenmusik in Esslingen berei-
chern. Zweitens sollten sie anderen Bürgerkindern Nachhilfeunterricht erteilen
bzw. elementare Bildungsgrundlagen vermitteln, und drittens versprach sich die
Stadtregierung aus den Reihen der Stipendiaten gut ausgebildeten Nachwuchs für
Ämter in Kirche, Schule und städtischer Verwaltung.
Das Alumneum war eng mit der Esslinger Lateinschule verbunden: Es un-
terstand deren Rektor, und die Alumnen besuchten den Lateinschulunterricht. In
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„Von Böswichten und herrlichen Musicanten.
Schulzeugnisse im 17. Jahrhundert"
Mitarbeitervortrag von Dr. Sabine Arend am 23. Juli 2014
Bei der Recherche nach Originaldokumenten in Archiven und Bibliotheken kom-
men zuweilen nicht nur diejenigen Stücke zum Vorschein, denen das eigentliche
Erkenntnisinteresse gilt, sondern auch darüber hinausgehende Quellen. So las-
sen sich die im Stadtarchiv Esslingen überlieferten Schülerzeugnisse als ein Ne-
benertrag bei der Suche nach evangelischen Kirchenordnungen verbuchen, denn
Schulen gehörten seit je her zum kirchlichen Bereich und wurden vor dem Hin-
tergrund der Reformation ebenfalls konfessionalisiert. In Vorbereitung des Bandes
mit Kirchenordnungen südwestdeutscher Reichsstädte, zu denen auch Esslingen
gehörte, wurde ich vor einigen Jahren auf eine Mappe mit Schulzeugnissen aus
dem 17. Jahrhundert aufmerksam. Genau genommen handelt es sich dabei nicht
um Zeugnisse, wie wir sie heute kennen, nämlich Bewertungen der Schülerleis-
tungen in einzelnen Fächern mit Noten von „sehr gut“ bis „ungenügend“, die den
Schülern ausgehändigt wurden, sondern um Berichte, die die Rektoren der Ess-
linger Lateinschule bei der städtischen Schulbehörde einreichen mussten. Diese
Beurteilungen, in denen sie das Fortkommen der einzelnen Schüler beschrieben,
wurden auch nicht für alle Lateinschüler verfasst, sondern nur für die sogenannten
„Alumnen“. Dies waren Schüler, die ein städtisches Schulstipendium erhielten,
die also auf Kosten der Stadt die Lateinschule besuchten und in einer Art Internat
lebten.
Die Gründung des Esslinger Schulstipendiums geht auf die Anregung Lukas
Osianders des Älteren zurück. Das Alumneum, das auch „Collegium pauperum“
hieß, war am 29. Juli 1598 gestiftet worden. Laut Stiftungsdekret wurde die Anstalt
„aus christlicher Intention, Gott zu Lob und Ehren, zu Nutzen gemeiner Stadt
und Kirchen, Fortpflantzung der Studien, insonderheit aber Aufrichtung und Er-
haltung der Musik“ eingerichtet, damit „8 Bürgerskinder unentgeltlich darein auf-
genommen und unterhalten und anfänglich in des Provisoris Haus gespeiset und
alimentiert werden sollen“.
Der Rat stellte den begabten Söhnen minderbemittelter Eltern also Kost und
Logis zur Verfügung und erließ ihnen die Zahlung des Schulgelds. Er verfolgte
mit dieser Initiative mehrere Ziele: Erstens sollten die Stipendiaten, die eine um-
fassende musikalische Ausbildung erhielten, die Kirchenmusik in Esslingen berei-
chern. Zweitens sollten sie anderen Bürgerkindern Nachhilfeunterricht erteilen
bzw. elementare Bildungsgrundlagen vermitteln, und drittens versprach sich die
Stadtregierung aus den Reihen der Stipendiaten gut ausgebildeten Nachwuchs für
Ämter in Kirche, Schule und städtischer Verwaltung.
Das Alumneum war eng mit der Esslinger Lateinschule verbunden: Es un-
terstand deren Rektor, und die Alumnen besuchten den Lateinschulunterricht. In
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