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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2022
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Monyer, Hannah: Erinnerung und Gedächtnis: von Mnemosyne zum NMDA-Rezeptor
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0052
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II. Wissenschaftliche Vorträge

oft auch in die Literatur ein die der Entwicklung von Theorien zu psychologi-
schen und neurologischen Funktionen zugrunde lagen. Hervorzuheben wäre hier
Theodule Ribot, der in seiner Psychopathologie das nach ihm benannte Gesetz
formulierte, welches besagt, dass frühe Gedächtnisspuren am längsten erhalten
bleiben.
Im Englischen heißt es kurz und prägnant: “First in, last out”. Ribots Theorie
wurde durch zahlreiche Experimente und klinische Krankheitsbilder, die mit einer
retrograden Amnesie einhergingen, unterstützt. Das bekannteste Beispiel, das in
der Geschichte der Gedächtnisforschung des 20. Jh. eine große Rolle spielte, ist die
Krankheitsgeschichte des Patienten H.M. (Squire, 2009).
Nennenswerte neue Forschungsaspekte zu diesem Themenkreis, vor allem
aber neue experimentelle Ansätze sind in den letzten Jahrzehnten in der Neuro-
wissenschaft zu verzeichnen. Obgleich bereits von Ribot sowie von Müller und
Pilzecker indirekt postuliert, wurde die Konsolidierung eines Gedächtnisengramms
erst viel später nach der Etablierung eines geeigneten elektrophysiologischen expe-
rimentellen Paradigmas, des sogenannten LTPs (deutsch: Langzeit-Potenzierung
für long-term potentiation) testbar. Bliss und Lomo erbrachten 1973 den Beweis,
dass die Erregbarkeit an neuronalen Synapsen langanhaltend erhöht werden kann.
Die Autoren zeigten das Vorhandensein von synaptischer Plastizität zunächst an
Hirnschnittpräparaten vom Hippocampus, später wurde eine Steigerung der syn-
aptischen Effizienz in zahlreichen anderen Hirnstrukturen beschrieben. Die Ent-
deckung war von großer theoretischer und praktischer Bedeutung. Man sah die
bereits von Ramon y Cajal geäußerte Vermutung bestätigt, dass Gedächtnisbildung
mit einer Verstärkung der Verbindungen zwischen Neuronen, d.h. von Synapsen,
einhergehen muss. LTP war das lang gesuchte experimentelle Paradigma, das es
nun möglich machte, Mechanismen der Plastizität, d.h. die Veränderbarkeit von
Synapsen, zu testen. Mit LTP glaubte man, das zelluläre und molekulare Substrat
für Lernen und Gedächtnis gefunden zu haben (Martin et al., 2000).
Obgleich LTP auch in vivo beschrieben wurde, blieb es ein Phänomen, das
voiwiegend in vitro, d.h. an Hirnschnitten untersucht wurde. Die wichtigsten Er-
kenntnisse, die sich auf Publikationen aus über 50 Jahren stützen, können wie folgt
sehr vereinfacht zusammengefasst werden: Eine LTP-induzierte Veränderung der
neuronalen Kommunikation beruht auf einer Verstärkung (Potenzierung) der sy-
naptischen Übertragung nach repetitiver Stimulation. Je nach Hirnregion, Zelltyp
und Stimulationsprotokoll wird die Potenzierung durch unterschiedliche zelluläre
und molekulare Prozesse bewirkt. Eine Synapse hat normalerweise ein präsynap-
tisches Element (Axon Endigung von Zelle A) und ein postsynaptisches Element
(Dendrit von Zelle B). Entsprechend kann eine Veränderung der synaptischen
Übertragung prä- oder postsynaptisch erfolgen. So kann zum Beispiel eine er-
höhte Freisetzung des Neurotransmitters eine gesteigerte Erregbarkeit bewirken;
in diesem Fall beträfe die LTP-induzierte Modifikation die Präsynapse. Oder aber

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