II. Wissenschaftliche Vorträge
geringere Calcium-Einstrom in die postsynaptische Zelle zur Entfernung von
AMPA-Rezcptoren aus der Synapse führt (Artola et al., 1990; Hansel et al., 1996).
Von translationaler Bedeutung in diesem Kontext sind Befunde, die belegen, dass
eine bidirektionale Modifikation, d.h. Verstärkung bzw. Abschwächung, von Syn-
apsen, wie sie an Hirnschnitten von Nagern gefunden wurde, auf Netzwerkebene
(d.h. an Millionen von Neuronen) beim Menschen ebenfalls vorliegt. In Wahr-
nehmungs- und Lerntests konnte mithilfe diverser Messmethoden (Elektroen-
zephalographie, funktionelle Magnetresonanztomographie) gezeigt werden, dass
eine vorhergehende moderate Netzwerkaktivierung zu Leistungsminderung (Ver-
gessen), eine starke Aktivierung hingegen zu Leistungssteigerung führt (Lernen).
Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, dass partielle Aktivierung von
Erinnerungen den späteren Abruf dieser Erinnerungen beeinträchtigt (Newman
und Norman, 2010; Detre et al., 2013; Kim et al., 2014; Poppenk und Norman,
2014).
Es ist zu simpel gedacht, wenn man LTP mit Lernen und LTD mit Vergessen
gleichsetzt. Adaptives Lernen erfordert eine flexible Modifikation von Synapsen
in beide Richtungen. Abschwächen oder sogar Entfernen von Synapsen ist ebenso
wichtig wie eine Verstärkung oder Neubildung von Synapsen. Eine bidirektionale
Modifikation erlaubt die Anpassung des Systems an die jeweiligen Umstände.
Eine spannende Frage ist, ob konsolidierte Gedächtnisspuren dem Vergessen
nicht mehr anheimfallen. Die Antwort darauf ist nein. In vereinzelten Studien,
die länger als 50 Jahre zurückliegen, wurde bereits darauf hingewiesen, dass sta-
bile Erinnerungen möglicherweise im Laufe der Zeit verändert werden. Erst mit
dem Jahr 2000, als eine außerordentlich wichtige Arbeit aus der Arbeitsgruppe um
Joseph Le Doux erschien (Nader et al., 2000), setzte eine intensive Forschung zu
diesem Thema ein (Tronson und Taylor, 2007; Haubrich und Nader, 2018); hun-
derte von Studien sind danach publiziert worden. Die Forscher hatten eindeutige
Beweise erbracht, dass stabile Erinnerungen durch Reaktivierung wieder instabil
werden und erneute Konsolidierung, auch Rekonsolidiernng genannt, erfordern.
In Versuchen an Ratten zeigten die Autoren, dass Angst auslösende Erinnerun-
gen abgeschwächt oder vergessen wurden, wenn beim Abruf die Proteinsynthe-
se gehemmt wurde. Man schloss daraus, dass nach Abruf die Synapsen in den
neuronalen Netzwerken, die einer bestimmten Erinnerung unterliegen, erneut
verstärkt und stabilisiert werden müssen. In den darauffolgenden Jahren hat man
die funktionelle Bedeutung von Rekonsolidierung elektrophysiologisch, moleku-
larbiologisch, biochemisch und auf Verhaltensebene für verschiedene Formen von
Gedächtnis (episodisch, semantisch, motorisch) in zahlreichen Spezies nachge-
wiesen. Es handelt sich also um einen evolutionär konservierten Prozess, der, ähn-
lich wie bereits im Zusammenhang mit Konsolidierung neuer Erinnerungen oben
diskutiert, dazu führt, dass alte stabile Erinnerungen nach Abruf entweder erneut
stabilisiert oder bei ausbleibender Konsolidierung vergessen werden. Die moleku-
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geringere Calcium-Einstrom in die postsynaptische Zelle zur Entfernung von
AMPA-Rezcptoren aus der Synapse führt (Artola et al., 1990; Hansel et al., 1996).
Von translationaler Bedeutung in diesem Kontext sind Befunde, die belegen, dass
eine bidirektionale Modifikation, d.h. Verstärkung bzw. Abschwächung, von Syn-
apsen, wie sie an Hirnschnitten von Nagern gefunden wurde, auf Netzwerkebene
(d.h. an Millionen von Neuronen) beim Menschen ebenfalls vorliegt. In Wahr-
nehmungs- und Lerntests konnte mithilfe diverser Messmethoden (Elektroen-
zephalographie, funktionelle Magnetresonanztomographie) gezeigt werden, dass
eine vorhergehende moderate Netzwerkaktivierung zu Leistungsminderung (Ver-
gessen), eine starke Aktivierung hingegen zu Leistungssteigerung führt (Lernen).
Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, dass partielle Aktivierung von
Erinnerungen den späteren Abruf dieser Erinnerungen beeinträchtigt (Newman
und Norman, 2010; Detre et al., 2013; Kim et al., 2014; Poppenk und Norman,
2014).
Es ist zu simpel gedacht, wenn man LTP mit Lernen und LTD mit Vergessen
gleichsetzt. Adaptives Lernen erfordert eine flexible Modifikation von Synapsen
in beide Richtungen. Abschwächen oder sogar Entfernen von Synapsen ist ebenso
wichtig wie eine Verstärkung oder Neubildung von Synapsen. Eine bidirektionale
Modifikation erlaubt die Anpassung des Systems an die jeweiligen Umstände.
Eine spannende Frage ist, ob konsolidierte Gedächtnisspuren dem Vergessen
nicht mehr anheimfallen. Die Antwort darauf ist nein. In vereinzelten Studien,
die länger als 50 Jahre zurückliegen, wurde bereits darauf hingewiesen, dass sta-
bile Erinnerungen möglicherweise im Laufe der Zeit verändert werden. Erst mit
dem Jahr 2000, als eine außerordentlich wichtige Arbeit aus der Arbeitsgruppe um
Joseph Le Doux erschien (Nader et al., 2000), setzte eine intensive Forschung zu
diesem Thema ein (Tronson und Taylor, 2007; Haubrich und Nader, 2018); hun-
derte von Studien sind danach publiziert worden. Die Forscher hatten eindeutige
Beweise erbracht, dass stabile Erinnerungen durch Reaktivierung wieder instabil
werden und erneute Konsolidierung, auch Rekonsolidiernng genannt, erfordern.
In Versuchen an Ratten zeigten die Autoren, dass Angst auslösende Erinnerun-
gen abgeschwächt oder vergessen wurden, wenn beim Abruf die Proteinsynthe-
se gehemmt wurde. Man schloss daraus, dass nach Abruf die Synapsen in den
neuronalen Netzwerken, die einer bestimmten Erinnerung unterliegen, erneut
verstärkt und stabilisiert werden müssen. In den darauffolgenden Jahren hat man
die funktionelle Bedeutung von Rekonsolidierung elektrophysiologisch, moleku-
larbiologisch, biochemisch und auf Verhaltensebene für verschiedene Formen von
Gedächtnis (episodisch, semantisch, motorisch) in zahlreichen Spezies nachge-
wiesen. Es handelt sich also um einen evolutionär konservierten Prozess, der, ähn-
lich wie bereits im Zusammenhang mit Konsolidierung neuer Erinnerungen oben
diskutiert, dazu führt, dass alte stabile Erinnerungen nach Abruf entweder erneut
stabilisiert oder bei ausbleibender Konsolidierung vergessen werden. Die moleku-
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