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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

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A. Das akademische Jahr 2022
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III. Veranstaltungen
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Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie“
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Dall'Asta, Matthias: Humanisten in Glaubenskämpfen: Johannes Reuchlin und sein Schüler Philipp Melanchton : Mitarbeitervortrag von Dr. Matthias Dall'Asta am 14. Juli 2022
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https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0117
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Humanisten in Glaubenskämpfen

Reuchlin, mein Vater! [...] Was auch immer Du für mich ausgehandelt hast, ich
werde Dich nicht enttäuschen; ich würde lieber sterben als Dich zu hinterge-
hen. Mein Entschluss steht so fest wie der Marmorberg auf Paros: Dir folgen,
Dir gehorchen. Wohin auch immer Du mich in dieser Welt schickst oder abord-
nest, dahin muss ich gehen“ (Philipp Melanchthon in WO persönlichen Briefen, hg. von
Christine Mundhenk u. a. [2017], S. 23 f, Nr. 2).
Als jugendlicher Tübinger Magister hatte sich Melanchthon zuvor im soge-
nannten Judenbücherstreit4 für seinen Mentor Reuchlin eingesetzt. Der in den
Jahren 1511-1520 tobende Streit entzündete sich daran, dass Reuchlin sich als füh-
render christlicher Hebraist und Jurist in einem Gutachten gegen eine pauschale
Konfiszierung jüdischer Schriften und insbesondere gegen die drohende Vernich-
tung des Talmuds ausgesprochen hatte. Seine 1511 unter dem Titel Augenspiegel in
Tübingen publizierte Verteidigung des Gutachtens löste eine europaweit verfolgte
Debatte aus, bei der die Kölner Theologen um den Inquisitor Jakob Hoogstraeten
seine Hauptgegner waren. Von diesem Streit waren Melanchthons Tübinger Jahre
allesamt nachhaltig geprägt.
Im zweiten Teil der satirischen Dunkelmännerbriefe, der Anfang 1517 erschien,
wird Melanchthon als „der schlimmste der Tübinger Anhänger Reuchlins“ be-
zeichnet. Die ursprünglich lateinische Formulierung „Quorum est vilissimus
Philippus Melanchthonius“ bildet dabei in der satirischen Umkehr der Werte ein
dickes Lob für den jungen Humanisten. Der lateinische Titel der Satire, Epistolae
obscurorum virorum, greift den Titel einer Sammlung von Briefen von und vor allem
an Reuchlin auf, die erst kurz zuvor in Tübingen erschienen war: der Clarorum
virorum epistolae, der „Briefe berühmter“ oder „hell strahlender Männer“. Heraus-
gegeben hatte diese Sammlung - zusammen mit dem ehemaligen Pforzheimer
Lateinschullehrer Johannes Hiltebrant - kein anderer als Melanchthon, der gerade
17 Jahre alt geworden war, als der Druck der Briefsammlung im März 1514 abge-
schlossen wurde. Sein an die Leser des Buches gerichtetes Vorwort bildet heute
mit der MBW-Nummer 1 das erste der knapp 10.000 erhaltenen Stücke von Me-
lanchthons Briefwechsel.
Eine im Januar 1518 bereits begonnene Streitschrift, mit der Melanchthon
Reuchlin im Bücherstreit hatte unterstützen wollen, blieb offenbar unvollendet;
sie ist jedenfalls nie erschienen. Was jedoch sehr wohl erschien, ist ein an Reuchlin
gerichteter Brief, in dem Melanchthon diese Streitschrift ankündigte. In der er-
weiterten Neuauflage von Reuchlins Briefwechsel, die 1519 bei Thomas Anshelm
in Hagenau erschien, ist dieses noch in Tübingen verfasste Schreiben unmittelbar
vor einem anderen Brief abgedruckt, der von Wittenberg aus verschickt worden
war: Martin Luthers erstem und einzigem Brief an Reuchlin vom 14. Dezember
1518, in dem der wegen seiner Ablassthesen angegriffene zukünftige Reformator
dem knapp 30 Jahre älteren Reuchlin seine Solidarität aussprach und sich sogar als
Reuchlins „Nachfolger“ („successor“) bezeichnete. Da Luther diesen Brief nach

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