Antrittsrede von Florian Sieger
Notwendigkeit konfrontiert, die Geschichte der zweiten Diktatur Deutschlands
im 20. Jahrhundert, gerade in Bezug auf die Medizin, wissenschaftlich in den Blick
zu nehmen. Die Antike musste also in den Hintergrund treten. Eine Reihe von
Themen der Medizingeschichte in der DDR konnte ich mit meinem Team er-
arbeiten. Besonders eindrücklich waren für mich viele Zeitzeugeninterviews, die
ich mit Frauen geführt habe, denen in geschlossenen Venerologischen Stationen
in der DDR massives Unrecht angetan wurde - ein erschreckendes und wissen-
schaftlich zugleich enorm reiches Kapitel politisierter Medizin, das ich bis zum
heutigen Tag in europäischer Perspektive verfolge; in der kommenden Woche setze
ich die Zeitzeugeninterviews in Polen fort. Eine Reihe von Qualifikationsarbeiten
von Habilitation, Dissertation bis Masterarbeit sind hier zwischenzeitlich entstan-
den. Auch engagierte ich mich von Halle aus in Polen und dann auch in weiteren
osteuropäischen Ländern, konnte wertvolle Eindrücke gewinnen und auch Erfah-
rungen machen - dieses Engagement hält bis heute an. Wenig Zeit blieb dann für
das 18. Jahrhundert, zu dem es in Halle eine so reiche Überlieferung gibt - das
bleibt wirklich sehr schade. Kurzum: Meine Jahre in Halle waren wissenschaftlich
sehr ergiebig, und ich konnte ein gutes Team aufbauen. Zugleich verbrachte ich
aber auch viel Zeit im rollenden Büro oder Wohnzimmer, da unser privater Le-
bensmittelpunkt im Süden blieb. Als ich 2015 den Ruf nach Ulm bekam, war mir
sofort klar, dass dies privat vieles erleichtern wird, zugleich hatte ich aber auch viele
Freunde in Mitteldeutschland gewonnen, und auch die Bäume, die ich gesetzt
hatte, wurden immer kräftiger. Meine Verbundenheit zum mitteldeutschen Raum
bleibt, ein Trost ist mir meine korrespondierende Mitgliedschaft in der Sächsi-
schen Akademie der Wissenschaften.
2016 nahm ich den Ruf an und wurde Direktor des Ulmer Instituts für Ge-
schichte, Theorie und Ethik der Medizin. Das Institut ist deutlich größer und die
Drittmittelakquise läuft erfolgreich. Neben der Klinischen Ethik wurde in Ulm
die Forschungsethik zu einer meiner Aufgaben, schon bald wurde ich Vorsitzender
unserer Ethikkommission. Auch wurde ich Mitglied des Senats. Und dennoch
gönnte ich mir selbst, in den ersten sechs Semestern eine Vertiefung „Antike Me-
dizin“ zu lesen, aus der 2021 meine Einführung in die antike Medizin hervorge-
gangen ist. Ich konnte also wieder zu meinen Wurzeln zurückkehren und bin fest
entschlossen, hiervon in den nächsten Jahren auch nicht mehr abzulassen. Mein
Interesse an Osteuropa mündete in einem erfolgreich eingeworbenen EU-Pro-
jekt, das sich mit Fragen des Zugangs zum Gesundheitswesen in einem Vergleich
osteuropäischer Länder mit Deutschland beschäftigt. Hiervon ausgehend möchte
ich auch künftig weiter gemeinsame Forschungsinitiativen mit osteuropäischen
Partnern entwickeln. Und in Ulm blieb es auch nicht lange aus, dass ich mich in
verschiedenen Verbundprojekten mit ethischen Fragen in Zusammenhang mit der
Digitalisierung unseres Gesundheitswesens auseinandersetze. Schließlich kehre
ich in Ulm in meiner Forschung auch wieder zu den Kindern und Jugendlichen
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Notwendigkeit konfrontiert, die Geschichte der zweiten Diktatur Deutschlands
im 20. Jahrhundert, gerade in Bezug auf die Medizin, wissenschaftlich in den Blick
zu nehmen. Die Antike musste also in den Hintergrund treten. Eine Reihe von
Themen der Medizingeschichte in der DDR konnte ich mit meinem Team er-
arbeiten. Besonders eindrücklich waren für mich viele Zeitzeugeninterviews, die
ich mit Frauen geführt habe, denen in geschlossenen Venerologischen Stationen
in der DDR massives Unrecht angetan wurde - ein erschreckendes und wissen-
schaftlich zugleich enorm reiches Kapitel politisierter Medizin, das ich bis zum
heutigen Tag in europäischer Perspektive verfolge; in der kommenden Woche setze
ich die Zeitzeugeninterviews in Polen fort. Eine Reihe von Qualifikationsarbeiten
von Habilitation, Dissertation bis Masterarbeit sind hier zwischenzeitlich entstan-
den. Auch engagierte ich mich von Halle aus in Polen und dann auch in weiteren
osteuropäischen Ländern, konnte wertvolle Eindrücke gewinnen und auch Erfah-
rungen machen - dieses Engagement hält bis heute an. Wenig Zeit blieb dann für
das 18. Jahrhundert, zu dem es in Halle eine so reiche Überlieferung gibt - das
bleibt wirklich sehr schade. Kurzum: Meine Jahre in Halle waren wissenschaftlich
sehr ergiebig, und ich konnte ein gutes Team aufbauen. Zugleich verbrachte ich
aber auch viel Zeit im rollenden Büro oder Wohnzimmer, da unser privater Le-
bensmittelpunkt im Süden blieb. Als ich 2015 den Ruf nach Ulm bekam, war mir
sofort klar, dass dies privat vieles erleichtern wird, zugleich hatte ich aber auch viele
Freunde in Mitteldeutschland gewonnen, und auch die Bäume, die ich gesetzt
hatte, wurden immer kräftiger. Meine Verbundenheit zum mitteldeutschen Raum
bleibt, ein Trost ist mir meine korrespondierende Mitgliedschaft in der Sächsi-
schen Akademie der Wissenschaften.
2016 nahm ich den Ruf an und wurde Direktor des Ulmer Instituts für Ge-
schichte, Theorie und Ethik der Medizin. Das Institut ist deutlich größer und die
Drittmittelakquise läuft erfolgreich. Neben der Klinischen Ethik wurde in Ulm
die Forschungsethik zu einer meiner Aufgaben, schon bald wurde ich Vorsitzender
unserer Ethikkommission. Auch wurde ich Mitglied des Senats. Und dennoch
gönnte ich mir selbst, in den ersten sechs Semestern eine Vertiefung „Antike Me-
dizin“ zu lesen, aus der 2021 meine Einführung in die antike Medizin hervorge-
gangen ist. Ich konnte also wieder zu meinen Wurzeln zurückkehren und bin fest
entschlossen, hiervon in den nächsten Jahren auch nicht mehr abzulassen. Mein
Interesse an Osteuropa mündete in einem erfolgreich eingeworbenen EU-Pro-
jekt, das sich mit Fragen des Zugangs zum Gesundheitswesen in einem Vergleich
osteuropäischer Länder mit Deutschland beschäftigt. Hiervon ausgehend möchte
ich auch künftig weiter gemeinsame Forschungsinitiativen mit osteuropäischen
Partnern entwickeln. Und in Ulm blieb es auch nicht lange aus, dass ich mich in
verschiedenen Verbundprojekten mit ethischen Fragen in Zusammenhang mit der
Digitalisierung unseres Gesundheitswesens auseinandersetze. Schließlich kehre
ich in Ulm in meiner Forschung auch wieder zu den Kindern und Jugendlichen
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