B. Die Mitglieder
Altphilologie reüssieren würde. Als große Überraschung kam deswegen in mei-
nem ersten Sommer in Kalifornien ein Ruf nach Heidelberg. Das vorgezogene
Tenure-Track-Verfahren war gerade abgeschlossen und die Beförderung zum Full
Professor bewilligt, als ich 2008 zurück nach Deutschland zog. Seitdem bin ich in
Heidelberg, ohne Reue, die Angebote ausgeschlagen zu haben, nach St. Andrews
und als Regius Professor nach Cambridge zu gehen.
Die Eingewöhnung in Heidelberg war aber nicht leicht; in jugendlicher Na-
ivität übersah ich Hindernisse und unterschätzte Herausforderungen im Minen-
feld des Marstallhofs. Aber die neue Position gab mir auch große Spielräume: Ich
konnte die in langer Vakanz fast gänzlich untergegangene Gräzistik neu aufbauen
und meine Forschungsinteressen verfolgen, ohne auf die Moden des Fachs schie-
len zu müssen. Nach einem kurzen komparatistischen Intermezzo und einem
Büchlein über Jonathan Littell’s Les Bienveillantes konzentrierte ich mich auf das
Thema Geschichte und Erzählung. In einem Buch untersuchte ich den Beginn der
griechischen Historiographie vor dem Hintergrund der memoria in Dichtung und
Rhetorik. In einem anderen Buch, großenteils geschrieben während einer Fellow-
ship der Gerda-Henkel-Stiftung an der Brown University, zeichnete ich die Ent-
wicklung der antiken Geschichtsschreibung und (Auto)biographie von Herodot
bis Augustinus nach. Die Spannung zwischen Erfahrung und Teleologie, die dieser
Studie den Rahmen gab, wurde auch der Gegenstand einer vom ERG finanzierten
Arbeitsgruppe.
Ein Jahr am Wissenschaftskolleg in Berlin bot mir Zeit und Raum, um neben
Geschichte und Erzählung einen weiteren Forschungsschwerpunkt zu entwickeln:
die Ästhetik. Antike Reflexionen können, so meine Hoffnung, gegenwärtigen De-
batten neue Perspektiven eröffnen. In einem Buch untersuchte ich die verschiede-
nen Rekonfigurationen des ,als-ob‘ ästhetischer Erfahrung in antiken Texten und
auf Vasenbildern. In einem anderen versuchte ich zu zeigen, dass sich neben der
mimesis noch ein weiterer zentraler Begriff durch die Geschichte der antiken Äs-
thetik zieht. Beginnend bei Gorgias, oszilliert apate zwischen Täuschung und Im-
mersion und verknüpft damit auf bisweilen verstörende Weise Ethik und Ästhetik
miteinander.
Die Klassische Philologie, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt in der
Zwickmühle der Identität, vielleicht noch mehr als andere Fächer. Auf der einen
Seite wird die Antike normativ überstrapaziert, wenn man sie als die Grundlage
unserer kulturellen Identität heranzieht. Schon lange nicht mehr klassisch, ist das
griechisch-römische Altertum in einer globalisierten Welt auch nicht mehr ,das
nächste Fremde4, wie Uvo Hölscher in den 1960er Jahren noch behaupten konnte.
Auf der anderen Seite drohen die Vertreter der Identitätspolitik den Zugriff auf die
Antike narzisstisch zu verkürzen. Zum Spiegel der eigenen Werte und Befindlich-
keiten verflacht, verlieren griechische und lateinische Texte ihre Tiefe. Dabei bie-
ten sie sich durch ihre hohe Reflexivität als Prismen für die kritische Betrachtung
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Altphilologie reüssieren würde. Als große Überraschung kam deswegen in mei-
nem ersten Sommer in Kalifornien ein Ruf nach Heidelberg. Das vorgezogene
Tenure-Track-Verfahren war gerade abgeschlossen und die Beförderung zum Full
Professor bewilligt, als ich 2008 zurück nach Deutschland zog. Seitdem bin ich in
Heidelberg, ohne Reue, die Angebote ausgeschlagen zu haben, nach St. Andrews
und als Regius Professor nach Cambridge zu gehen.
Die Eingewöhnung in Heidelberg war aber nicht leicht; in jugendlicher Na-
ivität übersah ich Hindernisse und unterschätzte Herausforderungen im Minen-
feld des Marstallhofs. Aber die neue Position gab mir auch große Spielräume: Ich
konnte die in langer Vakanz fast gänzlich untergegangene Gräzistik neu aufbauen
und meine Forschungsinteressen verfolgen, ohne auf die Moden des Fachs schie-
len zu müssen. Nach einem kurzen komparatistischen Intermezzo und einem
Büchlein über Jonathan Littell’s Les Bienveillantes konzentrierte ich mich auf das
Thema Geschichte und Erzählung. In einem Buch untersuchte ich den Beginn der
griechischen Historiographie vor dem Hintergrund der memoria in Dichtung und
Rhetorik. In einem anderen Buch, großenteils geschrieben während einer Fellow-
ship der Gerda-Henkel-Stiftung an der Brown University, zeichnete ich die Ent-
wicklung der antiken Geschichtsschreibung und (Auto)biographie von Herodot
bis Augustinus nach. Die Spannung zwischen Erfahrung und Teleologie, die dieser
Studie den Rahmen gab, wurde auch der Gegenstand einer vom ERG finanzierten
Arbeitsgruppe.
Ein Jahr am Wissenschaftskolleg in Berlin bot mir Zeit und Raum, um neben
Geschichte und Erzählung einen weiteren Forschungsschwerpunkt zu entwickeln:
die Ästhetik. Antike Reflexionen können, so meine Hoffnung, gegenwärtigen De-
batten neue Perspektiven eröffnen. In einem Buch untersuchte ich die verschiede-
nen Rekonfigurationen des ,als-ob‘ ästhetischer Erfahrung in antiken Texten und
auf Vasenbildern. In einem anderen versuchte ich zu zeigen, dass sich neben der
mimesis noch ein weiterer zentraler Begriff durch die Geschichte der antiken Äs-
thetik zieht. Beginnend bei Gorgias, oszilliert apate zwischen Täuschung und Im-
mersion und verknüpft damit auf bisweilen verstörende Weise Ethik und Ästhetik
miteinander.
Die Klassische Philologie, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt in der
Zwickmühle der Identität, vielleicht noch mehr als andere Fächer. Auf der einen
Seite wird die Antike normativ überstrapaziert, wenn man sie als die Grundlage
unserer kulturellen Identität heranzieht. Schon lange nicht mehr klassisch, ist das
griechisch-römische Altertum in einer globalisierten Welt auch nicht mehr ,das
nächste Fremde4, wie Uvo Hölscher in den 1960er Jahren noch behaupten konnte.
Auf der anderen Seite drohen die Vertreter der Identitätspolitik den Zugriff auf die
Antike narzisstisch zu verkürzen. Zum Spiegel der eigenen Werte und Befindlich-
keiten verflacht, verlieren griechische und lateinische Texte ihre Tiefe. Dabei bie-
ten sie sich durch ihre hohe Reflexivität als Prismen für die kritische Betrachtung
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