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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

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A. Das akademische Jahr 2022
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III. Veranstaltungen
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Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie“
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Betzwieser, Thomas: Oper ohne Gesang: das Melodram : Mitarbeitervortrag von Prof. Dr. Thomas Betzwieser am 20. Juli 2022
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https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0120
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III. Veranstaltungen

hatte, den „Sturm und Drang“. Das Melodram wurde geradezu aus dem „Sturm
und Drang“ der 1770er Jahre heraus geboren und fiel in eine Zeit, in der auch die
deutsche Sprache mehr und mehr Akzeptanz auf der Musikbühne fand. Die poe-
tische Grundlage des Melodrams war allerdings eine andere als im Musiktheater
üblich, denn bei diesen Stücken haben wir es überwiegend mit Prosatexten zu tun
und nicht mit Versstrukturcn wie in der Oper.
Im Vergleich zu anderen Verbindungen aus Text und Musik figurieren im
Melodram die beiden ,Medien4 nebeneinander: Sprache wird nicht in Musik ge-
setzt, nicht vertont wie in der Oper oder im Lied, sondern sie bleibt syntaktisch
und phonetisch weitgehend intakt, ganz im Gegensatz zur Musik, deren zeitliches
Kontinuum durch die textlichen Einschübe regelrecht ,aufgespalten4 wird. Die
Attraktivität für die Komponisten lag gerade in der völlig freien Disposition mu-
sikalischer Ausdrucksmöglichkeiten, welche keine Rücksichten auf herkömmli-
che Formprinzipien oder aufversmetrische Dispositionen wie in der Arie nehmen
musste. Der musikalische (Form-) Verlauf war also weitgehend frei.
Ausgehend von Mozart und seinen Melodramen (in Zaide') skizzierte der Vor-
trag zunächst die unterschiedlichen melodramatischen Kompositionsweisen so-
wie die damit verbundenen Notations- und Überlieferungsformen, zumal letztere
auch Probleme für die musikalische Edition mit sich bringen. So weisen schon
die Textbücher der Melodramen eine ziemliche Variationsbreite hinsichtlich der
schriftlichen Fixierung des Zusammenspiels von gesprochener Deklamation und
Musik auf. Zwar überliefern die Textbücher die Figurenrede wie einen normalen
dramatischen Prosatext, aber die meisten Ausgaben versuchen auch den gattungs-
spezifischen Wechsel von Textdeklamation und Musik sinnfällig zu machen, in-
dem sie die musikalischen Stellen entsprechend indizieren. Damit spiegeln die
Textbücher einen Werkstatus nach der musikalischer Komposition wider, d. h. sie
sind weniger Präskript als vielmehr ,Postskript4.
Im Zentrum des Vortrags stand das Melodram Medea des Böhmen Georg An-
ton Benda, das als kompositorisches Paradigma der Gattung angesehen wird und
für dessen Text Friedrich Wilhelm Gotter verantwortlich zeichnete. Der Urauf-
führung 1775 in Leipzig schloss sich eine beispiellose, gleichsam flächendeckende
Rezeption des Stücks im deutschsprachigen Raum an.
Ausgehend von der Betrachtung der Partitur wurden Bendas stilbildende
Kompositionsprinzipien vorgestellt, wobei vor allem auch aufführungspraktische
Fragen diskutiert wurden. Dem Melodram ist nämlich ein nicht zu unterschätzen-
des ästhetisches, kompositorisches wie aufführungspraktisches Problem inhärent,
das sich mit dem Begriff,Timing4 fassen lässt, insofern als gesprochene Sprache
und Musik jeweils eine eigene Zeitlichkeit besitzen. In der Oper herrscht weitge-
hend die Zeitlichkeit der Musik, im Melodram indes wie im Schauspiel die Zeit-
lichkeit des Sprechens, aber eben auch die Zeitlichkeit der Musik. Das heißt: es
bedarf grundsätzlich einer Art von Vermittlung zwischen diesen unterschiedlichen

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