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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

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A. Das akademische Jahr 2022
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III. Veranstaltungen
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Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2022 an den Philosophen Volker Gerhardt
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Sommer, Andreas Urs: Von der Existenzphilosophie zur lebensweltgesättigten Experimentalphilosophie: Laudatio
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https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0152
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III. Veranstaltungen

sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Jansen,
meine Damen und Herren, liebe Mitphilosophierende,
„Philosophie heißt: auf dem Wege sein. Ihre Fragen sind wesentlicher als ihre Ant-
worten, und jede Antwort wird zur neuen Frage.“1 So hat Karl Jaspers im ersten
seiner 1949 gehaltenen, 1950 zum Druck gebrachten Radiovorträge Einführung in
die Philosophie die viatorische Dimension ebendieser Philosophie herausgestellt
und zugleich seine Fundamcntalvorbehalte gegen deren dogmatisches Verständnis
auf den Punkt gebracht: Auf dem Wege sein, mehr Fragen haben als Antworten,
und jede Antwort in eine neue Frage verwandeln.
Wenn Volker Gerhardt, Seniorprofessor für Philosophie an der Humboldt-
Universität zu Berlin, langjähriger Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen
Akademie der Wissenschaften, Vorsitzender zahlreicher wissenschaftlich und
wissenschaftspolitisch zentraler Gremien, heute den Karl-Jaspers-Preis verliehen
bekommt, dann ist das nicht einfach eine Ehrung mehr, die den beiden Ehrendok-
torhüten von Debrecen und Leipzig sowie der Ehrenprofessur von Wuhan noch
hinzugefügt wird. Dass Volker Gerhardt den Karl-Jaspers-Preis der Stadt Heidel-
berg, der Universität Heidelberg und der Heidelberger Akademie der Wissenschaf-
ten erhält, liegt unmittelbar in der großen gedanklichen Nähe von Namensgeber
und Preisträger begründet. Diese Nähe äußert sich weniger darin, dass Gerhardt
Jaspers exzessiv zitieren würde. Noch weniger ist er ein Jaspers-Forscher. Viel-
mehr ist sein Denken vom selben viatorischen Philosophieverständnis bestimmt,
das Jaspers in seinem Vortrag geltend gemacht hat.
Was aber, meine Damen und Herren, heißt das genau? Schauen wir also näher
hin und benutzen dazu als Übersichtskarte und Orientierungshilfe jenen ersten Vor-
trag aus Jaspers’ Einführung in die Philosophie, dem wir schon das Eingangszitat ver-
danken. Dass, wie jenes Zitat nahelegt, es mehr auf die Fragen ankomme als auf die
Antworten, und dass alle Antworten wieder neue Fragen provozieren, macht Volker
Gerhardts philosophisch-schriftstellerischer Lebensweg jedenfalls schon äußerlich
deutlich: Im Unterschied zum geisteswissenschaftlichen Durchschnittsprofessor, der
es in seiner Lebensspanne auf drei (hoffentlich) selbst geschriebene Bücher bringt:
die Dissertation, in der sich die ersten eigenen Antworten abzeichnen, die Habilita-
tionsschrift, in der diese Antworten betoniert werden, und das Alterswerk, in dem
die vor 40 Jahren gefundenen Antworten im Lichte jüngster Forschung noch einmal
vollumfänglich bestätigt werden - im Unterschied also zum Durchschnittsprofessor
hat sich Volker Gerhardt mit den gefundenen Antworten nie zufrieden gegeben und
es daher auch nicht bei drei Büchern belassen.
Seine Münsteraner Dissertation Vernunft und Interesse. Vorbereitung auf eine Inter-
pretation Kants von 1974 (erschienen 1976) hat zwar schon ein paar Antworten for-

1 Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie. Zwölf Radiovorträge [1950], München 1989,
S. 13.

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