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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

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A. Das akademische Jahr 2022
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III. Veranstaltungen
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Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2022 an den Philosophen Volker Gerhardt
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Sommer, Andreas Urs: Von der Existenzphilosophie zur lebensweltgesättigten Experimentalphilosophie: Laudatio
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https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0154
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III. Veranstaltungen

und Nietzsche für Gerhardt - wie schon für Jaspers - zentrale Bezugsfiguren sind,
dann weil sie als Wegbereiter einer lebcnsweltgesättigten Experimentalphilosophie
für Gerhardts eigenes Philosophieren die nötigen Freiräume schufen. In Jaspers’
Worten: „Was Philosophie sei, das muß man versuchen. Dann ist Philosophie in
eins der Vollzug des lebendigen Gedankens und die Besinnung auf diese Gedan-
ken (die Reflexion) oder das Tun und das Darüberreden.“6 Auch Philosophie, und
da würde Gerhardt Jaspers emphatisch zustimmen, ist wesentlich eine Praxis, eine
selbstreflexive und eine selbsttransformative Praxis.
„Das Von-vorn-Anfangen ist unser Schicksal“, lautet der erste Satz des 1999
publizierten Buches Selbstbestimmung.7 Das ganz eigene Philosophieren, dem sich
Volker Gerhardt nach Ausweis seiner Bücher seit einem Vierteljahrhundert vertieft
widmet, ist eines, das aus einem dialogisch-kommunikativen Verständnis von Ver-
nunft nie einen Hehl gemacht hat. Selbstdenken heißt bei Gerhardt wesentlich in
Gemeinschaft mit anderen zu denken.
„Das philosophische Denken muß jederzeit ursprünglich sein. Jeder Mensch
muß es selber vollziehen.“8 Dieser Forderung wiederum aus Jaspers’ Einführung in
die Philosophie nimmt Gerhardts 2000 erschienenes Buch Individualität. Das Element
der Welt auf,9 wenn es nicht nur gegen „Theorie als Flucht vor der Individualität“10
polemisiert, sondern auch der praktischen Philosophie das wenig schmeichelhafte
Zeugnis ausstellt, sie habe „vor dem Individuum vollkommen versagt“,* 11 wie über-
haupt „die Selbstvergessenheit der gegenwärtigen Philosophie“12 nicht zu überse-
hen sei. Programmatisch geht es Gerhardt nun um ein „Philosophieren aus dem Leben
für das Leben“.13 Die hier entscheidende Pointe lautet: „Vom eigenen Ich aber kann
man nicht ohne Bezug zum Ich eines Gegenübers sprechen.“14 Individualität ist
zwingend auf andere bezogen. Die von Jaspers postulierte Ursprünglichkeit und
Individualität des philosophischen Denkens wandelt sich unter Gerhardts Hand
zu einer ursprünglichen Dialogizität, einer ursprünglich dialogischen Individua-
lität dieses Denkens.
Für Jaspers wiederum ist klar, dass Philosophie „in der Einmütigkeit“ lebe,
„die im Grunde der Menschheit alle mit allen verbinden kann.“15 Der in Jaspers’
Vortrag hier nur en passant bemühte Begriff der Menschheit spielt wiederum in

6 Jaspers: Einführung, S. 13.
7 Gerhardt: Selbstbestimmung, S. 13.
8 Jaspers: Einführung, S. IO.
9 Volker Gerhardt: Individualität. Das Element der Welt, München 2000, S. 24 wird Jaspers
ausdrücklich, wenn auch global als Bezugsfigur genannt.
10 Ebd., S. 18 (im Original kursiv).
11 Ebd., S. 19.
12 Ebd., S. 15.
13 Ebd. (Fiervorhebung im Original).
14 Ebd., S. 21.
15 Jaspers: Einführung, S. 15.

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