Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

DOI Kapitel:
B. Die Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Artikel:
Tertilt, Michele: Antrittsrede vom 26. November 2022
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0203
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Antrittsrede von Michele Tertilt

eklektisches Thema dar. Makroökonomen beschäftigen sich normalerweise mit
Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit, Inflation, Geldpolitik. Wer würde eine Makro-
ökonomin einstellen, die sich mit Polygamie, nicht aber mit Geldpolitik auskennt?
Ein Risiko. Aber das Thema interessierte mich einfach. Die Rechnung ging auf.
Im Jahre 2003 ging ich auf den Jobmarkt. Ich bewarb mich bei 90 Universitä-
ten, hatte 25 Interviews, 8 Fly-outs. Als das Jobangebot für eine Assistenzprofessur
aus Stanford kam, zögerte ich nicht lange. Endlich der Kälte entkommen, nie mehr
bei minus 30 Grad mit dem Fahrrad fahren. Stattdessen eine reiche Uni, ein wun-
derschöner Campus und am Wochenende Kitesurfen. Es war eine traumhafte Zeit!
Allerdings gab es leider nur recht wenige Makroökonomen in Stanford, stattdessen
vor allem Theoretiker und reine Empiriker. Daher nahm ich nach nur drei Jahren
in Stanford eine Auszeit, um stattdessen ein Jahr an der University of Pennsylvania
in Philadelphia zu verbringen. Dort war das Umfeld ähnlich wie ich es aus Min-
nesota kannte. Es wurde diskutiert, kritisiert, modelliert und gemeinsam geforscht.
Dort lernte ich u. a. meine heutigen Ko-Autoren Jeremy Greenwood, Philipp Kir-
cher und Cezar Santos kennen. Gemeinsam entwickelten wir ein ökonomisches
Modell über die Verbreitung von HIV in Afrika. Anhand des Modells konnten wir
die Effektivität verschiedener Maßnahmen zur Eindämmung der HIV-Epidemie
evaluieren. Das Modell konnten wir in den letzten Jahren weiterentwickeln, um
die Verbreitung von Covid-19 zu simulieren. Wir erforschen nun, welche Rolle
freiwillige Einschränkungen bei der Pandemiebekämpfung spielen und inwieweit
zusätzliche Kontaktbeschränkungen notwendig sind, um die Wohlfahrt zu maxi-
mieren.
Ich hätte an der UPenn bleiben können, aber mich zog es dann doch wieder
zurück nach Kalifornien, zu meinem damaligen Freund, dem traumhaften Wetter,
dem Kitesurfen und natürlich spielte auch das Renommee von Stanford dabei eine
Rolle. Ein Jahr verbrachte ich als Hoover National Fellow, ganz ohne Lehre, was
natürlich ein Luxus war. Irgendwann überkam mich dann aber das Heimweh. Ich
war zu diesem Zeitpunkt bereits zwölf Jahre in den USA. Dabei hatte ich nie vor-
gehabt, für immer dort zu bleiben. Worauf wartete ich noch?
Somit kam die Anfrage aus Mannheim genau zum richtigen Zeitpunkt. Kurz
liebäugelte ich noch mit der Schweiz, aber wenn schon zurück in die Heimat,
dann bitte auch richtig. Seit September 2010 bin ich nun an der Universität Mann-
heim tätig. Als erste Professorin der Abteilung VWL seit Bestehen der Universität.
Als ich mich zum ersten Mal mit neugewonnen Freunden am Nationaltheater traf,
stellte ich mit Freuden fest, dass es in Mannheim normal war, mit dem Rad ins
Theater zu fahren. In den USA hingegen war man als fahrradfahrender Theaterbe-
sucher ein Freak. Da wusste ich, dass die Rückkehr nach Deutschland die richtige
Entscheidung gewesen war.
Dank großzügiger Unterstützung - zunächst durch einen ERG Grant und
seit 2019 durch den Leibniz Preis - habe ich an der Universität Mannheim per-

203
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften