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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

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B. Die Mitglieder
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II. Nachrufe
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Dosch, Hans Günter: Berthold Stech (08.12.1924 – 29.06.2022)
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https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0228
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B. Die Mitglieder

rie Goeppert-Meier) vorgeschlagene Schalenmodell der Kerne2. Berthold Stech
hatte sehr schnell gearbeitet: Seine experimentelle Doktorarbeit wurde 1951 zur
Publikation eingereicht, seine erste theoretische Arbeit „Über die Lebensdauer
isomerer Kerne“ 1952 nur wenige Monate später. Das Thema war sehr brisant
und wichtig. Deshalb kam der prominente Physiker Viktor Weisskopf3 vom Mas-
sachusetts Institute of Technology dem Neuling mit einer Veröffentlichung zum
gleichen Thema zuvor, die im Vergleich zu den eher qualitativen Überlegungen
Weisskopfs sehr sorgfältig hergeleiteten Ergebnisse Stechs waren aber noch durch-
aus publikationswürdig. Diese erste Veröffentlichung Stechs auf dem Gebiet der
Theoretischen Physik zeigt schon charakteristische Züge seiner künftigen Arbeit:
Sein Gespür für wichtige Probleme, seine Sorgfalt und sein Bestreben, stets zu
quantitativen Ergebnissen zu kommen.
Die auf Anregung Jensens durchgeführte theoretische Arbeit war die Anwen-
dung eines Models, das zwar immer noch stark diskutiert wurde und teilweise
sogar umstritten war, aber in seinen Grundlagen doch abgeschlossen war. Die
nächste Arbeit aber, gemeinsam mit J. EL D. Jensen, war für beide Neuland: Die
Theorie der schwachen Wechselwirkung der Elementarteilchen. Die Grundlagen
dieser Theorie gehen auf Wolfgang Pauli (1930) und Enrico Fermi (1933) zurück,
aber ihre endgültige Form bekam sie erst in den 1960er Jahren durch Weinberg,
Glashow und Salam4 und wurde seither experimentell bestens bestätigt.
In der Arbeit „Die Kopplungskonstanten in der Theorie des ß-Zerfalls“ (1955)
suchten Stech und Jensen nach a priori Argumenten für die Struktur der Wechsel-
wirkung und die Werte der darin auftretenden Konstanten. Dazu führten sie eine
ganz neue Symmetrie der Elementarteilchen ein, die sogenannte y5-Invarianz. Es
ist unmöglich, diese Theorie im Rahmen eines Nachrufs darzustellen, aber es gibt
eine sehr schöne Beschreibung der Entwicklung mit dem Titel „Von der Stech-
Jensen-Transformation zur universellen VA-Wechselwirkung“5. Hier sei nur kurz
erwähnt, dass die von Stech und Jensen eingeführte Invarianz letztlich zu einem
bedeutenden neuen Konzept in der Elementarteilchenphysik, der sogenannten
chiralen Symmetrie, führte. Ihre Theorie machte auch für eine wichtige Messgrö-
ße der schwachen Wechselwirkung (den sogenannten Michelle-Parameter) eine
Voraussage, die nach den damals vorliegenden Experimenten zwar nicht erfüllt
war, aber später bestätigt wurde.

2 Nobelpreis für Physik für Goeppert-Meier und Jensen „für ihre Entdeckungen bezüglich der
Schalenstruktur der Kerne“ (1963).
3 Viktor Weisskopf war Leiter der Theoriegruppe am Manhattan Projekt in Los Alamos, später
ein sehr engagierter Befürworter der atomaren Abrüstung.
4 Nobelpreis für ihre Beiträge an der Theorie der vereinigten schwachen und elektromagne-
tischen Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen, einschließlich u. a. die Voraussage der
schwachen neutralen Ströme (1979).
5 N. Straumann; Archive for History of Exact Sciences, 1992.

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