C. Die Forschungsvorhaben
Auch weiß gehörte mit ungefähr zweitausend Belegen zu den hochbelegten
Wörtern. Die Vielzahl der Komposita mit weiß- demonstriert die Bedeutung des
Farbwortes nicht nur für den engeren Kontext der Farbenlehre oder der Malerei,
sondern auch für eine Vielzahl heute kaum noch bekannter Handwerke und Tech-
niken, wie dem Weißanstreichen (in der Radierkunst), Weißbinden (in der Gipserei:
derjenige, der den Gipser in einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Ma-
ler vertritt, ist der Weißbinderadvokat), das Weißen, das Weißnähen (das Nähen oder
Verzieren von Weißzeug). Der Weißkäufer ist in der Gaunersprache ein Taschendieb,
Weßgeborene sind eine Pferderasse, und das Weißnichtwie ist eine etwas laxe Über-
setzung des französischen Geschmacksattributes des Je ne sais quoi, des undefinier-
baren ,gewissen Etwas4 in der Schönheitsempfindung.
Manchmal kann man auch aus einer geringen Zahl von Belegen zu einem
Stichwort Schlüsse zu Goethes Sprachgebrauch ziehen. So ist das Verb wahr-
nehmen, das im Gefolge des Empirismus eine zentrale Rolle in den philosophi-
schen Debatten der Aufklärung spielt, eher schwach belegt; demgegenüber sind
die Äquivalente gewahren und gewahr (werden) ungleich häufiger nachweisbar, die
eher den aktiven Aspekt von Wahrnehmung und die Verbindung des Wortes zur
Wihrheit akzentuieren. Das Substantiv Wahrnehmung ist gar ausschließlich in Ge-
sprächsnotaten belegt. Solche Befunde könnten Ausgangspunkte für künftige Un-
tersuchungen zu Goethes spezifisch philosophischem Wortgebrauch im Kontext
der zeitgenössischen Debatten werden.
Die Beschäftigung mit dem Verb walten demonstrierte hingegen die Ergiebig-
keit vermeintlich trockener Verwaltungswörter. Nicht nur weist die Verwendung
eine große semantische Breite auf, die sich in einer Vielfalt von Synonyma nieder-
schlägt: regieren, lenken, Einfluss nehmen, etwas hüten, über etwas wachen, jemanden schüt-
zen oder behüten; überhaupt tätig sein, agieren, sich betätigen, leben und wirken; sein Wesen
treiben, sich rühren, sich manifestieren, sich äußern - all dies gehört in die Einflusssphäre
des Waltens, das zudem eine interessante Facette in der schon von Goethe viel be-
nutzten Wendung des Schalten und Walten (Lassens) hat. So können wir einerseits
lesen: „Der Mensch begehrt alles an sich zu reißen, um nur nach Belieben damit schalten
und walten zu können“ (WA I 23,19). Andererseits gilt jedoch auch „die innere und
äußere Natur zu erforschen, und in liebevoller Nachahmung sie eben selbst walten zu lassen“
(WA I 28,149) als Goethe’sche Lebensmaxime. Hier zeigt sich eindrucksvoll der
ursprünglich intendierte und von der Leserschaft wie von Rezensenten bestätigte
Charakter des Goethe-Wörterbuchs als reiche Zitatenquelle und Lesebuch.
Immer wieder legen Artikel auch aktuelle Bezugsmöglichkeiten frei. So galt
schon Goethe der Weizen bei seinen Italienreisen als die Kulturpflanze schlecht-
hin; er symbolisiert, neben dem Wein, blühende Landschaften und eine effiziente
Agrartechnik, in der erfolgreich die Spreu vom Weizen getrennt werden kann. Zum
Frühstück bei Jacobis gibt es guten eingemachten Weizen, aber nahrhaft und produk-
tiv ist das Getreide auch als Metapherngenerator: So erhofft sich Goethe von einer
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Auch weiß gehörte mit ungefähr zweitausend Belegen zu den hochbelegten
Wörtern. Die Vielzahl der Komposita mit weiß- demonstriert die Bedeutung des
Farbwortes nicht nur für den engeren Kontext der Farbenlehre oder der Malerei,
sondern auch für eine Vielzahl heute kaum noch bekannter Handwerke und Tech-
niken, wie dem Weißanstreichen (in der Radierkunst), Weißbinden (in der Gipserei:
derjenige, der den Gipser in einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Ma-
ler vertritt, ist der Weißbinderadvokat), das Weißen, das Weißnähen (das Nähen oder
Verzieren von Weißzeug). Der Weißkäufer ist in der Gaunersprache ein Taschendieb,
Weßgeborene sind eine Pferderasse, und das Weißnichtwie ist eine etwas laxe Über-
setzung des französischen Geschmacksattributes des Je ne sais quoi, des undefinier-
baren ,gewissen Etwas4 in der Schönheitsempfindung.
Manchmal kann man auch aus einer geringen Zahl von Belegen zu einem
Stichwort Schlüsse zu Goethes Sprachgebrauch ziehen. So ist das Verb wahr-
nehmen, das im Gefolge des Empirismus eine zentrale Rolle in den philosophi-
schen Debatten der Aufklärung spielt, eher schwach belegt; demgegenüber sind
die Äquivalente gewahren und gewahr (werden) ungleich häufiger nachweisbar, die
eher den aktiven Aspekt von Wahrnehmung und die Verbindung des Wortes zur
Wihrheit akzentuieren. Das Substantiv Wahrnehmung ist gar ausschließlich in Ge-
sprächsnotaten belegt. Solche Befunde könnten Ausgangspunkte für künftige Un-
tersuchungen zu Goethes spezifisch philosophischem Wortgebrauch im Kontext
der zeitgenössischen Debatten werden.
Die Beschäftigung mit dem Verb walten demonstrierte hingegen die Ergiebig-
keit vermeintlich trockener Verwaltungswörter. Nicht nur weist die Verwendung
eine große semantische Breite auf, die sich in einer Vielfalt von Synonyma nieder-
schlägt: regieren, lenken, Einfluss nehmen, etwas hüten, über etwas wachen, jemanden schüt-
zen oder behüten; überhaupt tätig sein, agieren, sich betätigen, leben und wirken; sein Wesen
treiben, sich rühren, sich manifestieren, sich äußern - all dies gehört in die Einflusssphäre
des Waltens, das zudem eine interessante Facette in der schon von Goethe viel be-
nutzten Wendung des Schalten und Walten (Lassens) hat. So können wir einerseits
lesen: „Der Mensch begehrt alles an sich zu reißen, um nur nach Belieben damit schalten
und walten zu können“ (WA I 23,19). Andererseits gilt jedoch auch „die innere und
äußere Natur zu erforschen, und in liebevoller Nachahmung sie eben selbst walten zu lassen“
(WA I 28,149) als Goethe’sche Lebensmaxime. Hier zeigt sich eindrucksvoll der
ursprünglich intendierte und von der Leserschaft wie von Rezensenten bestätigte
Charakter des Goethe-Wörterbuchs als reiche Zitatenquelle und Lesebuch.
Immer wieder legen Artikel auch aktuelle Bezugsmöglichkeiten frei. So galt
schon Goethe der Weizen bei seinen Italienreisen als die Kulturpflanze schlecht-
hin; er symbolisiert, neben dem Wein, blühende Landschaften und eine effiziente
Agrartechnik, in der erfolgreich die Spreu vom Weizen getrennt werden kann. Zum
Frühstück bei Jacobis gibt es guten eingemachten Weizen, aber nahrhaft und produk-
tiv ist das Getreide auch als Metapherngenerator: So erhofft sich Goethe von einer
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