Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2022
DOI Kapitel:
I. Jahresfeier am 21. Mai 2022
DOI Artikel:
Mittler, Barbara: Wilde Geschichte(n) 野史 oder: Von der Macht der Stille(n) – Gedanken zur Politik in China
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0033
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Festvortrag von Barbara Mittler

W P (auch M P M fr oder M P M fr geschrieben), was soviel heißt wie „den
Mund verschließen und die Zunge verknoten“. Diese Ausdrucksweise erinnert
sofort an Zhang Zhixin (1930-1975), eine mutige junge Frau, die Mao
Zedong während der Kulturrevolution kritisiert hatte und die entsprechend lange
Jahre inhaftiert und gefoltert wurde und schließlich hingerichtet wurde, wobei ihr
die Kehle durchgeschnitten wurde, damit sie endlich aufhörte, ihre Beschwerden
und ihre Kritik noch während ihrer Hinrichtung in die Welt zu schreien.
Eine vielbeachtete Skulptur von Wang Keping (£^L fo, 1949-) mit dem Titel
Chenmo „Versinken (chen) in Stille (wo)” (Abb. 3) ist Ausdruck dieser zwei-
deutigen Haltung: Sie zeigt einen Kopf, dem der Mund geknebelt und das Au-
ge blind geschlagen ist - auf dass er nicht mehr sehe, spreche, hinterfrage. 1979
entstanden, ist die Skulptur gleichzeitig Reflektion auf die gerade vergangene
Kulturrevolution, eine Zeit, in der der Weg der Rede wohl am heftigsten in der
chinesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts blockiert wurde - auch wenn Mao
Zedong das „Recht zu rebellieren“ hochgehaltcn hatte - und gleichzeitig Teil jener
Bewegung war, die im Rahmen der post-maoistischen Reformen eine 5. Moder-
nisierung - die Demokratie - forderte: eine Forderung, die bis heute nicht ein-
gelöst wird. Erinnert die „stillgelegte“ Statue vielleicht auch deswegen an Edvard
Munchs Schrei?


Abb. 3 Wang Keping, Chenmo „Versinken in Stille” (1979)

33
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften