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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2022 — 2023

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2022
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Tertilt, Michele: Katalysator oder Karrierebremse – Wie verändert sich die Arbeitswelt von Frauen durch die Coronakrise?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67410#0065
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Michele Tertilt

Claudia Goldin argumentiert schon seit langem, dass der Mangel an Flexibi-
lität das wichtigste verbleibende Hindernis in der beruflichen Gleichstellung von
Männern und Frauen ist (siehe zum Beispiel Goldin 2014). Tatsächlich haben wir
festgestellt, dass Telearbeit in der Pandemie vielen Müttern geholfen hat. Daten
aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien zeigen bei Telearbeitern keinen
großen Geschlechterunterschied in der Arbeitszeitreduzicrung im Jahr 2020. Dies
gilt auch für Eltern mit Schulkindern (Alon et al. 2022a). Bei Eltern, die nicht von
zu Hause arbeiten konnten, sieht man hingegen einen großen Unterschied: Müt-
ter haben ihre Arbeitsstunden deutlich mehr reduziert als Väter.
Telearbeit hat dabei aber nicht nur einen direkten Effekt auf die Mütter. Es
ist außerdem so, dass Männer, die von zu Hause arbeiten können, bereits vor der
Pandemie mehr Zeit mit Kinderbetreuung verbracht haben. In Familien, in de-
nen Väter von zu Hause arbeiten können und Mütter nicht, verbringen ameri-
kanische Väter sogar 50 Prozent mehr Zeit hauptverantwortlich mit Kindern im
Vergleich zu Vätern, die nicht von zu Hause arbeiten können (Alon et al 2020a).
Dies erleichtert wiederum das Arbeiten für die dazugehörigen Mütter. Wenn Väter
auch langfristig mehr von zu Hause arbeiten, bleibt daher zu erwarten, dass Mütter
mehr Spielraum für die berufliche Entfaltung erhalten.
Zum anderen wurden durch die kurzfristigen Schulschließungen im Früh-
jahr 2020 viele Väter plötzlich hauptverantwortlich für die Kinder - teils zum ers-
ten Mal im Leben. Dies ergab sich insbesondere in Familien, in denen die Mütter
in Präsenz arbeiten mussten, zum Beispiel als Krankenschwester, und die Väter
entweder von zu Hause arbeiten konnten, in Kurzarbeit waren, oder gar ihren Job
verloren hatten. Unseren Schätzungen zu Folge betraf dies etwa 10 Prozent aller
Familien mit Kindern in den Vereinigten Staaten (Alon et al. 2020a). Männer, die
in der Not Kinderbetreuung übernehmen, lernen, wie dies geht, finden vielleicht
auch Spaß an der neuen Aufgabe und dienen außerdem als Vorbilder für andere
Väter.
Dass auch kurze Zeiten des Rollentausches zu langfristigen Veränderungen
führen können, zeigen die sogenannten Vaterschaftsmonate, die in vielen Europäi-
schen Ländern in den neunziger Jahren und den Nullerjahren eingeführt wurden.
Diese Reformen führten dazu, dass mehr Väter den ersten Monat nach der Geburt
mit ihren Kindern verbrachten. Studien zeigen, dass diese Väter auch noch Jah-
re nach der Geburt mehr mit ihren Kindern involviert waren als Väter, die noch
nicht von den neuen Regelungen profitieren konnten (Tamm 2019 sowie Farre
und Gonzalez 2019). Auch gab es externe Effekte auf andere Väter: Eine Studie aus
Norwegen zeigt, dass Brüder und Arbeitskollegen von Männern, die erst nach der
Reform Vater geworden sind, auch eher Vaterschaftsmonate in Anspruch genom-
men haben (Dahl et al 2014). Es gibt auch Evidenz dafür, dass sogar die nächste
Generation ihr Verhalten ändert (Farre et al. 2021). Ähnliches könnte man infolge
der Pandemie erwarten. Wenn diese also langfristig zu einer Rollenangleichung

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