Festvortrag von Prof. Dr. Volker Gerhardt
Er bringt zum Ausdruck, dass unser Bewusstsein, so verlassen, missverstanden
und letztlich ganz auf sich selbst verwiesen es sich gelegentlich vorkommen mag,
bereits in seiner ihm ursprünglich zukommenden Verfassung gesellschaftlich organi-
siert ist. Damit ist nicht behauptet, dass dieses Bewusstsein es unmöglich macht,
Einsamkeit zu erfahren oder ganz in seine eigenen Gedanken und Erinnerungen
versunken zu sein. Dem steht ja schon die Logik entgegen, der jeder selbst im
eigenen Denken zu folgen hat. Denn nur die Logik macht auch ein ganz und gar
auf seine Individualität setzendes Bewusstsein in seinem Geltungsanspruch allge-
mein.
Die gesellschaftliche Verfassung des Denkens widerspricht auch dem (in
manchen Seelenlagen naheliegenden und vermutlich bei vielen Straftaten übli-
chen) Vorsatz nicht, niemandem auch nur das Geringste von dem mitzuteilen, was
den Einzelnen bewegt. Die Rede von der Soziomorphie des Bewusstseins besagt nur,
dass die unser Bewusstsein ausmachenden Eindrücke, Erinnerungen oder Ahnun-
gen als grundsätzlich mitteilbar aufgefasst werden, wann immer sie als „bewusst“
angesehen werden können.
Dem scheinen nicht wenige Momente unseres bewussten Erlebens zu wider-
sprechen. Doch deren Plausibilität reicht nicht aus, um der Behauptung entgegen-
zutreten, dass die Bewusstseinsinhalte eines Menschen aus dem bestehen, was sich mitteilen
lässt. Auch wenn ich nicht in jedem Fall zu sagen vermag, was mich beglückt, bedrückt
oder schmerzt, kann ich immerhin sagen, dass es so ist! Und auch wenn ich nicht
mit allen darüber sprechen möchte, kann ich es vielleicht dem Arzt, dem Therapeu-
ten oder meinem Tagebuch anvertrauen.
5. Trias von Erkenntnis, Mitteilung und Wahrheit. Die Mitteilbarkeit ist gewiss
an viele Bedingungen gebunden: Sprecher und Hörer müssen, je nach dem, um
was es geht, über dieselbe Sprache verfügen, sie sollten möglichst aus demselben oder
einem verwandten Kulturraum stammen oder einen vergleichbaren Verständnishorizont
haben. Das gilt auch für bloße Anschauungen in Form von Bildern, Tönen und Ge-
rüchen sowie von Kälte, Hitze, Druck oder Schmerz. In ihnen teilt sich der Leib, wie
von sich aus - seinem Bewusstsein (!) - mit.
Auf diese Weise kann der Körper vielfältigen Ausdruck von seinen Empfin-
dungen und Gefühlen geben, auch von solchen, in denen Menschen sich elemen-
tar verbunden sind. Unmöglich, sich den Umgang der Menschen miteinander
ohne diesen leiblichen Ausdruck vorzustellen!
Aber menschliche Verständigung ist daran gebunden, dass sich Menschen
über „etwas“ verständigen, das zu ihrer gemeinsamen Umgebung gehört und, aufs
Ganze gesehen, ihre Welt ausmacht. Diese Welt ist von „Gegenständen“ angefüllt,
und wenn es keine materialen Gegenstände in der Form von Wind, Wasser, Steinen,
Bäumen oder anderen Lebewesen sind, müssen sie in der Form von Verweisungen
oder Beschreibungen „vergegenständlicht“ werden, so dass man sie sich - jeder in sei-
nem individuellen Bewusstsein - so vorstellen kann, dass man den Eindruck haben
163
Er bringt zum Ausdruck, dass unser Bewusstsein, so verlassen, missverstanden
und letztlich ganz auf sich selbst verwiesen es sich gelegentlich vorkommen mag,
bereits in seiner ihm ursprünglich zukommenden Verfassung gesellschaftlich organi-
siert ist. Damit ist nicht behauptet, dass dieses Bewusstsein es unmöglich macht,
Einsamkeit zu erfahren oder ganz in seine eigenen Gedanken und Erinnerungen
versunken zu sein. Dem steht ja schon die Logik entgegen, der jeder selbst im
eigenen Denken zu folgen hat. Denn nur die Logik macht auch ein ganz und gar
auf seine Individualität setzendes Bewusstsein in seinem Geltungsanspruch allge-
mein.
Die gesellschaftliche Verfassung des Denkens widerspricht auch dem (in
manchen Seelenlagen naheliegenden und vermutlich bei vielen Straftaten übli-
chen) Vorsatz nicht, niemandem auch nur das Geringste von dem mitzuteilen, was
den Einzelnen bewegt. Die Rede von der Soziomorphie des Bewusstseins besagt nur,
dass die unser Bewusstsein ausmachenden Eindrücke, Erinnerungen oder Ahnun-
gen als grundsätzlich mitteilbar aufgefasst werden, wann immer sie als „bewusst“
angesehen werden können.
Dem scheinen nicht wenige Momente unseres bewussten Erlebens zu wider-
sprechen. Doch deren Plausibilität reicht nicht aus, um der Behauptung entgegen-
zutreten, dass die Bewusstseinsinhalte eines Menschen aus dem bestehen, was sich mitteilen
lässt. Auch wenn ich nicht in jedem Fall zu sagen vermag, was mich beglückt, bedrückt
oder schmerzt, kann ich immerhin sagen, dass es so ist! Und auch wenn ich nicht
mit allen darüber sprechen möchte, kann ich es vielleicht dem Arzt, dem Therapeu-
ten oder meinem Tagebuch anvertrauen.
5. Trias von Erkenntnis, Mitteilung und Wahrheit. Die Mitteilbarkeit ist gewiss
an viele Bedingungen gebunden: Sprecher und Hörer müssen, je nach dem, um
was es geht, über dieselbe Sprache verfügen, sie sollten möglichst aus demselben oder
einem verwandten Kulturraum stammen oder einen vergleichbaren Verständnishorizont
haben. Das gilt auch für bloße Anschauungen in Form von Bildern, Tönen und Ge-
rüchen sowie von Kälte, Hitze, Druck oder Schmerz. In ihnen teilt sich der Leib, wie
von sich aus - seinem Bewusstsein (!) - mit.
Auf diese Weise kann der Körper vielfältigen Ausdruck von seinen Empfin-
dungen und Gefühlen geben, auch von solchen, in denen Menschen sich elemen-
tar verbunden sind. Unmöglich, sich den Umgang der Menschen miteinander
ohne diesen leiblichen Ausdruck vorzustellen!
Aber menschliche Verständigung ist daran gebunden, dass sich Menschen
über „etwas“ verständigen, das zu ihrer gemeinsamen Umgebung gehört und, aufs
Ganze gesehen, ihre Welt ausmacht. Diese Welt ist von „Gegenständen“ angefüllt,
und wenn es keine materialen Gegenstände in der Form von Wind, Wasser, Steinen,
Bäumen oder anderen Lebewesen sind, müssen sie in der Form von Verweisungen
oder Beschreibungen „vergegenständlicht“ werden, so dass man sie sich - jeder in sei-
nem individuellen Bewusstsein - so vorstellen kann, dass man den Eindruck haben
163