Festvortrag von Otfried Höffe
Festvortrag von Otfried Höffe:
„Karl Jaspers. Ein europäischer Denker"
Vor 50 Jahren und wenigen
Monaten, am 26. Februar 1969,
starb eine der herausragenden
Persönlichkeiten des 20. Jahr-
hunderts und eine der großen
Figuren zunächst der Heidel-
berger, später der Basler Uni-
versität: Karl Jaspers. Schon zu
Lebzeiten erscheint über seine
Philosophie ein eigener großer
Band (Schilpp 1957). Später je-
doch wird Jaspers in der über
Heidelberg und seine Akade-
mie hinausreichenden, größeren Öffentlichkeit nicht mehr intensiv diskutiert. Er
findet zwar über seine Lebzeiten und über die Fachgrenzen der Philosophie hinaus
noch viele Jahre große Aufmerksamkeit, dies übrigens nicht nur als Existenzphilo-
soph. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten auch seine kritischen Schriften
zur deutschen Politik erhebliche Resonanz. Bald danach wird es aber um ihn still.
Schaut man in die Vorlesungsverzeichnisse der deutschsprachigen Philosophie-
seminare und -Institute, so sucht man Lehrveranstaltungen zu Karl Jaspers so gut
wie vergeblich. Ähnliches trifft auf internationale Philosophie-Kongresse zu, es sei
denn, sie widmen sich ausdrücklich Jaspers.
Zu den Gründen nachlassenden Interesses gehören fraglos tiefgreifende Ver-
änderungen in den philosophischen und politischen Diskursen, freilich ein wenig
auch Jaspers4 häufig weitatmiger Argumentationsstil.
Glücklicherweise fällt ein zweiter Blick positiver aus. In Wien beispielsweise
erscheint seit 1988 das Jahrbuch der Österreichischen Karl-Jaspers-Gesellschaft, in Nea-
pel seit 2013 eine Rivista annuale della „Societd Italiana Karl Jaspers“. Und die Karl-
Jaspers-Stiftung in Basel, die Jaspers-Forschungsstelle in Oldenburg (vgl. Schulz
u. a. 2009), vor allem die mit Basel und Oldenburg vernetzte Forschungsstelle
„Karl-Jaspers-Gesamtausgabe“ der Heidelberger und der Göttinger Akademie
der Wissenschaften arbeiten dem angedeuteten Vergessen mit engagiert langem
Atem entgegen. Dem schließen sich folgende Überlegungen, jetzt eher kurzat-
mig, an. Sie setzen sich gegen die in der Philosophie seit langem vorherrschenden
Mikroanalysen ab, denn sie belaufen sich zum überwiegenden Teil auf eine Ma-
krobetrachtung. Und da die nötigen Kenntnisse sich heute nicht mehr von selbst
verstehen, haben sie auch werbenden Charakter.
Otfried Höffe (HAdW/Tobias Schuerdt)
25
Festvortrag von Otfried Höffe:
„Karl Jaspers. Ein europäischer Denker"
Vor 50 Jahren und wenigen
Monaten, am 26. Februar 1969,
starb eine der herausragenden
Persönlichkeiten des 20. Jahr-
hunderts und eine der großen
Figuren zunächst der Heidel-
berger, später der Basler Uni-
versität: Karl Jaspers. Schon zu
Lebzeiten erscheint über seine
Philosophie ein eigener großer
Band (Schilpp 1957). Später je-
doch wird Jaspers in der über
Heidelberg und seine Akade-
mie hinausreichenden, größeren Öffentlichkeit nicht mehr intensiv diskutiert. Er
findet zwar über seine Lebzeiten und über die Fachgrenzen der Philosophie hinaus
noch viele Jahre große Aufmerksamkeit, dies übrigens nicht nur als Existenzphilo-
soph. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten auch seine kritischen Schriften
zur deutschen Politik erhebliche Resonanz. Bald danach wird es aber um ihn still.
Schaut man in die Vorlesungsverzeichnisse der deutschsprachigen Philosophie-
seminare und -Institute, so sucht man Lehrveranstaltungen zu Karl Jaspers so gut
wie vergeblich. Ähnliches trifft auf internationale Philosophie-Kongresse zu, es sei
denn, sie widmen sich ausdrücklich Jaspers.
Zu den Gründen nachlassenden Interesses gehören fraglos tiefgreifende Ver-
änderungen in den philosophischen und politischen Diskursen, freilich ein wenig
auch Jaspers4 häufig weitatmiger Argumentationsstil.
Glücklicherweise fällt ein zweiter Blick positiver aus. In Wien beispielsweise
erscheint seit 1988 das Jahrbuch der Österreichischen Karl-Jaspers-Gesellschaft, in Nea-
pel seit 2013 eine Rivista annuale della „Societd Italiana Karl Jaspers“. Und die Karl-
Jaspers-Stiftung in Basel, die Jaspers-Forschungsstelle in Oldenburg (vgl. Schulz
u. a. 2009), vor allem die mit Basel und Oldenburg vernetzte Forschungsstelle
„Karl-Jaspers-Gesamtausgabe“ der Heidelberger und der Göttinger Akademie
der Wissenschaften arbeiten dem angedeuteten Vergessen mit engagiert langem
Atem entgegen. Dem schließen sich folgende Überlegungen, jetzt eher kurzat-
mig, an. Sie setzen sich gegen die in der Philosophie seit langem vorherrschenden
Mikroanalysen ab, denn sie belaufen sich zum überwiegenden Teil auf eine Ma-
krobetrachtung. Und da die nötigen Kenntnisse sich heute nicht mehr von selbst
verstehen, haben sie auch werbenden Charakter.
Otfried Höffe (HAdW/Tobias Schuerdt)
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