III. Veranstaltungen
„Die Welt neu denken: Mittelalterliche Klöster als gesellschaftliche
Innovationslabore"
Mitarbeitervortrag von Dr. Julia Becker und PD Dr. Julia Burkhardt am 10. Juli
2019
„Wir wollen keine Neuerungen und wir wollen auch nicht von unseren Mitbrü-
dern als Erfinder von Neuerungen verurteilt werden!“ Mit diesen harschen Wor-
ten wehrten sich im 11. Jahrhundert - so beschrieb es zumindest der Chronist
Ordericus Vitalis (ca. 1075 — 1142) in seiner Historia ecclesiastica - die Mönche des
Benediktinerklosters von Molesme gegen die Neugründung des Zisterzienseror-
dens. Ordericus war ein normannischer Benediktinermönch, und der kometen-
hafte Aufstieg der Zisterzienser im hochmittelalterlichen Europa erschien ihm
mehr als zweifelhaft: Hier konnte etwas nicht stimmen - also mussten die von den
Zisterziensern eingeführten Neuerungen, die novitates, schuld sein!
Für uns heute klingt das etwas seltsam: Immerhin strebt unsere Gesellschaft
beständig nach Veränderungen, Neuerungen und Verbesserungen. Eines der be-
liebtesten Schlagworte hierfür ist das der „Innovation“, das auch in der mediä-
vistischen Geschichtsforschung Anwendung findet. Ein Beispiel hierfür ist das
interakademische Forschungsprojekt „Klöster im Hochmittelalter“ (Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leip-
zig): Es geht von der Kernthese aus, dass mittelalterliche Klöster zwischen dem
11. und 13. Jahrhundert neue und innovative Formen der Lebensgestaltung ent-
wickelten.
Worin aber bestand die Innovationskraft religiöser Gemeinschaften eigent-
lich? War es die Spiritualität der geistlichen Kreise, die überdurchschnittliche
Bildung in Klöstern oder die gesellschaftliche Breitenwirkung? Kurz gesagt: Wie
konnten mittelalterliche Klöster „die Welt neu denken“?
Obwohl viele Klöster im frühen Mittelalter meist recht abgelegen waren, be-
deutet das nicht, dass sie nicht mit der mittelalterlichen Gesellschaft verbunden
waren. Sie erfüllten vielmehr eine Kernaufgabc: Mönche waren für die Seelsor-
ge der Menschen zuständig, beteten für deren Wohlbefinden, pflegten die Erin-
nerung an die Toten und trugen das Wort Gottes durch Predigt und Mission in
die Welt. Dafür entwickelten sich ganz unterschiedliche Formen: das christliche
Mönchtum zeichnete sich durch Vielfalt und ständige Bewegung aus, um sich den
Bedürfnissen der Zeit anzupassen - eine flexible Adaptionsfähigkeit also!
Als Teil des Systems der Grundherrschaft unterstanden Klöstern Länderei-
en und Gehöfte, die durch Zinspflichtige oder Hörige bewirtschaftet wurden. Sie
waren dem Kloster zu Abgaben und Steuern verpflichtet, im Gegenzug konnten
sie Schutz und Schirm des Klosterherrn erwarten und waren Teil der klösterlichen
familia.
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„Die Welt neu denken: Mittelalterliche Klöster als gesellschaftliche
Innovationslabore"
Mitarbeitervortrag von Dr. Julia Becker und PD Dr. Julia Burkhardt am 10. Juli
2019
„Wir wollen keine Neuerungen und wir wollen auch nicht von unseren Mitbrü-
dern als Erfinder von Neuerungen verurteilt werden!“ Mit diesen harschen Wor-
ten wehrten sich im 11. Jahrhundert - so beschrieb es zumindest der Chronist
Ordericus Vitalis (ca. 1075 — 1142) in seiner Historia ecclesiastica - die Mönche des
Benediktinerklosters von Molesme gegen die Neugründung des Zisterzienseror-
dens. Ordericus war ein normannischer Benediktinermönch, und der kometen-
hafte Aufstieg der Zisterzienser im hochmittelalterlichen Europa erschien ihm
mehr als zweifelhaft: Hier konnte etwas nicht stimmen - also mussten die von den
Zisterziensern eingeführten Neuerungen, die novitates, schuld sein!
Für uns heute klingt das etwas seltsam: Immerhin strebt unsere Gesellschaft
beständig nach Veränderungen, Neuerungen und Verbesserungen. Eines der be-
liebtesten Schlagworte hierfür ist das der „Innovation“, das auch in der mediä-
vistischen Geschichtsforschung Anwendung findet. Ein Beispiel hierfür ist das
interakademische Forschungsprojekt „Klöster im Hochmittelalter“ (Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leip-
zig): Es geht von der Kernthese aus, dass mittelalterliche Klöster zwischen dem
11. und 13. Jahrhundert neue und innovative Formen der Lebensgestaltung ent-
wickelten.
Worin aber bestand die Innovationskraft religiöser Gemeinschaften eigent-
lich? War es die Spiritualität der geistlichen Kreise, die überdurchschnittliche
Bildung in Klöstern oder die gesellschaftliche Breitenwirkung? Kurz gesagt: Wie
konnten mittelalterliche Klöster „die Welt neu denken“?
Obwohl viele Klöster im frühen Mittelalter meist recht abgelegen waren, be-
deutet das nicht, dass sie nicht mit der mittelalterlichen Gesellschaft verbunden
waren. Sie erfüllten vielmehr eine Kernaufgabc: Mönche waren für die Seelsor-
ge der Menschen zuständig, beteten für deren Wohlbefinden, pflegten die Erin-
nerung an die Toten und trugen das Wort Gottes durch Predigt und Mission in
die Welt. Dafür entwickelten sich ganz unterschiedliche Formen: das christliche
Mönchtum zeichnete sich durch Vielfalt und ständige Bewegung aus, um sich den
Bedürfnissen der Zeit anzupassen - eine flexible Adaptionsfähigkeit also!
Als Teil des Systems der Grundherrschaft unterstanden Klöstern Länderei-
en und Gehöfte, die durch Zinspflichtige oder Hörige bewirtschaftet wurden. Sie
waren dem Kloster zu Abgaben und Steuern verpflichtet, im Gegenzug konnten
sie Schutz und Schirm des Klosterherrn erwarten und waren Teil der klösterlichen
familia.
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