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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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A. Das akademische Jahr 2019
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III. Veranstaltungen
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Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie“
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Becker, Julia: Die Welt neu denken: mittelalterliche Klöster als gesellschaftliche Innovationslabore
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0123
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Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie'

Das grundlegende Organisationsmodell religiösen Lebens im Mittelalter war
die Gemeinschaft. Hier sollte das einzelne Mitglied nicht nur die Bedingungen
für ein Leben in Armut und Gehorsam finden. Es sollte auch zur Ausformung
und Perfektionierung der Gemeinschaft beitragen. Mit diesem Anspruch wurden
verschiedene Zeitschichten verwoben: Die Vorwegnahme des himmlischen Jeru-
salem als biblischer Idealzustand machte das Kloster der Jetztzeit in den Augen der
Zeitgenossen zu einem Ort besonderer Gottesnähe und damit zum Gegenstand
der künftigen Erlösung.
Wenn aber der Rückzug aus der irdischen Welt das monastische Ideal war,
was bedeutete das für die Beziehungen oder Verflechtungen mit der Welt? Im
10. Jahrhundert führte genau diese Frage zu einer der bedeutendsten Klosterrefor-
men - der „Cluniazensischen Reform“: Die enge Einbindung der Reichsklöster in
die weltliche Herrschaft provozierte in jener Zeit den Unmut traditionell gesinn-
ter Mönche. Unter Berufung auf die „Freiheit der Kirche“ (libertas ecclesiae) schuf
man ein unabhängigeres und eigenständiges Klosterwesen. Obwohl das System
von Cluny schnell florierte, erwies es sich nicht als nachhaltiges Innovationsmo-
dell - zu sehr störte man sich an prachtvollen Liturgie- und Architekturformen.
Eine Gruppe von Mönchen rund um Abt Robert von Molesme (ca. 1028—1111)
wollte zu strengeren Glaubensformen der Urkirche zurückkehren und gründete
1098 kurzerhand ein eigenes Kloster in Citeaux. Das war der Ausgangspunkt einer
wahren Erfolgsgeschichte: Innerhalb weniger Jahrzehnte breiteten sich die Zister-
zienser in ganz Europa aus. Auch organisatorisch waren die Zisterzienser äußerst
innovativ: Mit einer ausgeklügelten Binnenstruktur, den sogenannten Filiationen,
schufen sie den ersten „Orden“: eine durchstrukturierte Organisation mehrerer
Klöster, die dank Verflechtungen und wechselseitiger Kontrolle funktionierte. Im
13. Jahrhundert entwickelten sich weitere, ganz spezifische Formen der Ordens-
organisation - beispielsweise bei den Kartäusern, den reformierten Cluniazensern
oder den Dominikanern.
Gerade die Dominikaner und Franziskaner entfalteten im späten Mittelalter
eine beachtliche Wirkmacht: Die sogenannten „Bettelmönche“ wollten ohne Be-
sitz, also ganz nach dem Vorbild Christi leben - mobil und nicht gebunden an gro-
ße Klöster mit reichen Ländereien. Der Abgeschiedenheit der Zisterzienser oder
Benediktiner setzten sie eine bewusste Hinwendung zu den Menschen entgegen,
und zogen über Stadt und Land, um Seelsorger und Prediger für die Menschen
zu sein. Dafür schufen die Dominikaner ein systematisches Studien- und Aus-
bildungssystem - Konkurrenz und Impulsgeber zugleich für die mittelalterlichen
Universitäten.
Grundstrukturen zur Wissensvermittlung und Nachwuchsschulung in den
Klöstern waren natürlich schon früher geschaffen worden. Bereits die Benedikts-
regel (und Ende des 8. Jahrhunderts auch die „Karolingische Bildungsreform“)
legte fest, dass Mönche für den geistlichen Dienst geschult werden sollten. Lesen

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