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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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A. Das akademische Jahr 2019
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Markschies, Christoph Johannes: Erlösungsreligion für entpolitisierte Intellektuelle?: alte Lösungsmodelle und neue Wege bei der sozialwissenschaftlichen Kategorisierung der Gnosis
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0065
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Christoph Markschies

Christoph Markschies
„Erlösungsreligion für entpolitisierte Intellektuelle? Alte
Lösungsmodelle und neue Wege bei der sozialwissenschaftlichen
Kategorisierung der Gnosis"
Gesamtsitzung am 27. April 2019
Unter „Gnosis“ versteht man eine antike Bewegung, die sich um Erkenntnis be-
mühte und daher bis heute mit dem griechischen Wort für Erkenntnis - yvüau;
- bezeichnet wird. Der Vortrag schloss an einen im Jahr 2018 gehaltenen an
(Kurzfassung im Jahrbuch 2018, S. 47—49). Damals war unter dem Titel „Jü-
disch? Christlich? Pagan? Alte Sackgassen und neue Wege bei der religionswis-
senschaftlichen Kategorisierung der antiken Gnosis“ versucht worden, nicht mehr
zielführende, aber nach wie vor verbreitete Kategorisierungsalternativen für die
Bewegung zu historisieren und die Bewegung selbst in das fluide Feld religiöser
Identitäten einzuzeichnen, in der sich ein Judentum und ein Christentum erst
allmählich herausbildeten. In der Diskussion dieses Vortrags im April 2018 war
(von Wolfgang Schluchter) gefragt worden, ob mit den religionswissenschaftlichen
Kategorisierungen des 19. und 20. Jahrhunderts auch der berühmte Versuch von
Max Weber erledigt sei, die Gnosis als „Erlösungsreligion für entpolitisierte Intel-
lektuelle“ zu beschreiben. Dem Versuch einer Antwort auf diese wichtige Frage
diente der zweite Vortrag im April 2019.
Während man über die religionswissenschaftliche Einordnung der Gnosis vor
allem im zwanzigsten Jahrhundert heftig gestritten hat, wird die soziologische Ein-
ordnung der Bewegung heute kaum mehr einer ausführlichen Diskussion gewür-
digt. Wenn aber eine solche Einordnung versucht wird, bezieht man sich meistens
auf das Grundkonzept von Max Weber. Es stammt aus seinen aus dem Nachlass
publizierten Ausführungen zu religiösen Gemeinschaften, die für das große Pro-
jekt „Wirtschaft und Gesellschaft“ vorgesehen waren; Wolfgang Schluchter hat die-
ses Konzept mehrfach behandelt. Die „Gnosis“ ist nach Weber eine Wendung der
babylonischen Religion „gekreuzt mit Bestandteilen außerbabylonischer Proveni-
enz“, die vollzogen wurde, nachdem jedes politische Interesse der Bildungsschicht
abgestorben war“. An anderen Stellen spricht Weber von einer intellektuellen So-
teriologie, einer „Intellektuellenspekulation“, die „unmilitärische und antimilitä-
rische Tugenden zu verklären pflegt“ und sich genötigt sieht, über ethische und
religiöse Fragen zu grübeln, „die Welt als einen sinnvollen Kosmos (sc. zu) erfassen
und zu ihr Stellung nehmen zu können“.
Das Bild von „Gnosis“, das Weber voraussetzt, geht auf die sogenannte reli-
gionsgeschichtliche Schule und insbesondere die Göttinger Gnosis-Forscher
Bousset und Reitzenstein zurück und war zur Abfassungszeit der Bemerkungen
von Weber state of the art der Forschung. Auch das vorausgesetzte Bild vom In-

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