II. Wissenschaftliche Vorträge
tellektuellen ebenso wie der Begriff gehört in bestimmte Debatten an der Wende
vom neunzehnten ins zwanzigste Jahrhundert und ist mit Webers Biographie eng
verbunden. Aber haben deswegen die Beobachtungen und Erklärungen von Weber
ihre Gültigkeit verloren? Angesichts gegenwärtiger Diskussionen bleibt von Weber
zunächst einmal die Frage, ob es sich bei der „Gnosis“ um eine dem in seinen
Anfängen eher kleinbürgerlichen Christentum entgegengesetzte Intellektuellen-
Religiosität handelt. Behandelt wurden im Vortrag aber auch die in der Forschung
bisher kaum diskutierten Thesen von Weber zu den sogenannten Mysterien der
Gnostiker.
Gerd Theißen hat vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass überzeugende
Belege für die These einer „Intellektuellen-Religion“ fehlen, weil zu oft höhere
Bildung und höherer sozialer Status einfach identifiziert worden sind. Im Vor-
trag wurden deswegen zunächst eine der Bewegung der „Gnosis“ zurechenbare
Inschrift aus der Stadt Rom vom Ende des zweiten bzw. aus der ersten Hälfte des
dritten Jahrhunderts im Blick auf ihren Bildungshintergrund diskutiert (GIG IV
9595a): Die Fundkontexte der Inschrift an der Via Eatina vor der Porta Eatina in
Rom deuten nicht nur auf einen höheren sozialen Status hin, sondern schon das
Metrum (ein Aktrostichon in Hexametern) beweist auch höhere Bildung. Außer-
dem wurde ein (leider nur unzureichend veröffentlichter) Ausgrabungsbefund
eines Gebäudes aus den Ruinen der Stadt Qoco diskutiert, die in der Turfan-Oase
an der Seidenstraße in Uiguristan im heutigen China liegt. Dort wurde der Mani-
chäismus, eine ursprünglich aus Persien stammende, sehr eigenständige Form
der „Gnosis“, in der Spätantike zu einer Art von Staatsreligion. In dem (von den
deutschen Ausgräbern vor dem ersten Weltkrieg als „K“ bezeichneten) Gebäude
befand sich offenbar eine manichäische Bibliothek, wenn nicht sogar ein religiös
genutztes Kult- und Gemeindezentrum. Die dort gefundenen Texte zeigen, dass
hoch qualifizierte Übersetzer in der Lage waren, hymnische Texte nach Inhalt wie
Form aus einem Sprach- und Kulturkreis in einen anderen zu übertragen (gezeigt
wurde dies an einem zweisprachigen Hymnus „An den Vater Mani“ aus dem soge-
nannten Pothi-Buch). Das beweist in jedem Fall höhere Bildung. Allerdings zeigt
der Unterschied zwischen der kaiserzeitlichen Gruppe in Rom aus dem ersten
Beispiel und der spätantiken Gruppe an der Seidenstraße aus dem zweiten, dass die
politischen Wirkungsmöglichkeiten der „Gnostiker“ je nach politischem System
sehr unterschiedlich waren. Außerdem gibt es neben diesen beiden Beispielen für
„intellektuelle“ Formen von „Gnosis“ auch dezidiert anti-intellektuelle Formen.
Mit den Kategorisierungen von Max Weber lässt sich also nur ein Teil der Bewe-
gung der „Gnosis“ präzise beschreiben.
Auch in diesem zweiten Vortrag wurde auf einige grundlegende theoreti-
sche Weichenstellungen einer großen zusammenfassenden Monographie über die
Gnosis vorausgeblickt, die allerdings aufgrund neuer beruflicher Verpflichtungen
später als geplant und frühestens im Jahre 2021 erscheinen wird.
66
tellektuellen ebenso wie der Begriff gehört in bestimmte Debatten an der Wende
vom neunzehnten ins zwanzigste Jahrhundert und ist mit Webers Biographie eng
verbunden. Aber haben deswegen die Beobachtungen und Erklärungen von Weber
ihre Gültigkeit verloren? Angesichts gegenwärtiger Diskussionen bleibt von Weber
zunächst einmal die Frage, ob es sich bei der „Gnosis“ um eine dem in seinen
Anfängen eher kleinbürgerlichen Christentum entgegengesetzte Intellektuellen-
Religiosität handelt. Behandelt wurden im Vortrag aber auch die in der Forschung
bisher kaum diskutierten Thesen von Weber zu den sogenannten Mysterien der
Gnostiker.
Gerd Theißen hat vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass überzeugende
Belege für die These einer „Intellektuellen-Religion“ fehlen, weil zu oft höhere
Bildung und höherer sozialer Status einfach identifiziert worden sind. Im Vor-
trag wurden deswegen zunächst eine der Bewegung der „Gnosis“ zurechenbare
Inschrift aus der Stadt Rom vom Ende des zweiten bzw. aus der ersten Hälfte des
dritten Jahrhunderts im Blick auf ihren Bildungshintergrund diskutiert (GIG IV
9595a): Die Fundkontexte der Inschrift an der Via Eatina vor der Porta Eatina in
Rom deuten nicht nur auf einen höheren sozialen Status hin, sondern schon das
Metrum (ein Aktrostichon in Hexametern) beweist auch höhere Bildung. Außer-
dem wurde ein (leider nur unzureichend veröffentlichter) Ausgrabungsbefund
eines Gebäudes aus den Ruinen der Stadt Qoco diskutiert, die in der Turfan-Oase
an der Seidenstraße in Uiguristan im heutigen China liegt. Dort wurde der Mani-
chäismus, eine ursprünglich aus Persien stammende, sehr eigenständige Form
der „Gnosis“, in der Spätantike zu einer Art von Staatsreligion. In dem (von den
deutschen Ausgräbern vor dem ersten Weltkrieg als „K“ bezeichneten) Gebäude
befand sich offenbar eine manichäische Bibliothek, wenn nicht sogar ein religiös
genutztes Kult- und Gemeindezentrum. Die dort gefundenen Texte zeigen, dass
hoch qualifizierte Übersetzer in der Lage waren, hymnische Texte nach Inhalt wie
Form aus einem Sprach- und Kulturkreis in einen anderen zu übertragen (gezeigt
wurde dies an einem zweisprachigen Hymnus „An den Vater Mani“ aus dem soge-
nannten Pothi-Buch). Das beweist in jedem Fall höhere Bildung. Allerdings zeigt
der Unterschied zwischen der kaiserzeitlichen Gruppe in Rom aus dem ersten
Beispiel und der spätantiken Gruppe an der Seidenstraße aus dem zweiten, dass die
politischen Wirkungsmöglichkeiten der „Gnostiker“ je nach politischem System
sehr unterschiedlich waren. Außerdem gibt es neben diesen beiden Beispielen für
„intellektuelle“ Formen von „Gnosis“ auch dezidiert anti-intellektuelle Formen.
Mit den Kategorisierungen von Max Weber lässt sich also nur ein Teil der Bewe-
gung der „Gnosis“ präzise beschreiben.
Auch in diesem zweiten Vortrag wurde auf einige grundlegende theoreti-
sche Weichenstellungen einer großen zusammenfassenden Monographie über die
Gnosis vorausgeblickt, die allerdings aufgrund neuer beruflicher Verpflichtungen
später als geplant und frühestens im Jahre 2021 erscheinen wird.
66