Festvortrag von Otfried Höffe
Exßten^erhellung ist vielmehr als Gegenmodell zu einer Essenzerhellung zu lesen,
nämlich als ein Appell, die in der Existenzerhellung letztlich denn doch allgemei-
nen Einsichten in einem unvertretbaren Selbst- und Eigensein zu entfalten.
Allerdings können Philosophen am Ende doch nur gnösis, Erkenntnis, leisten
und müssen aus diesem Grund die konkrete Praxis dem Einzelnen selbst über-
lassen. Für diesen Umstand, dass das anvisierte Ziel, der Vollzug der Praxis, zwar
intendiert, aber nicht realisiert werden kann, sind aus der Philosophiegeschichte
unterschiedliche Lösungsmuster bekannt:
In Platons scharfsinnigen Argumentationsdramen, „Dialoge“ genannt, wer-
den, was viele Nachahmer unterschlagen, nicht nur Sachbehauptungen, sondern
auch Personen geprüft. Denn für ein sachgerechtes Gespräch, so Platons unausge-
sprochene Voraussetzung, müssen die Teilnehmer schon über zwei positive Cha-
raktermerkmale verfügen, über Wohlwollen und Einsichtsbereitschaft. Auch nach
Aristoteles erreicht die Ethik ihr praktisches Ziel nur unter einer Vorgabe: dass
die Menschen in der Praxis, die die Philosophie untersucht, schon ziemlich fest
verankert zuhause sind.
Nach beiden Mustern gelingt der Philosophie keine primäre, sondern ledig-
lich eine sekundäre Praxisleistung. In Analogie zum hermeneutischen Vorverste-
hen braucht es eine Vörabdisposition. Kierkegaard wiederum bedient sich, hier
laut Jaspers (Die geistige Situation derZeit, 149), raffinierter literarischer Mittel, näm-
lich der „Technik der Pseudonyme“ und eines psychologischen Experimentierens.
Nietzsche wiederum schreibt, dies vor allem in seiner philosophischen Dichtung
Also sprach Zarathustra, eine seine Zeitgenossen aufwühlende und mitreißende
Prosa.
Nach Jaspers soll das „Existenzerhellung“ genannte Denken jene alternative
Lebensführung, die „das marklose Durchschnittsdasein“ überwindet, nicht zusätz-
lich, sondern schon in sich, intrinsisch, an die einschlägige Freiheit appellieren
und „das Sein dessen, der so denkt“ mit dem „appellierenden Denken“ „erwirken“
(Philosophie, 31956, 1320ff). Wenn man aber nicht über Nietzsches literarische
Pathosmacht verfügt, ist von bloßen Worten kaum zu erwarten, dass sie das Sich-
Herausreißen zustande bringen. Hier dürften Platon und Aristoteles realitätsnäher
gewesen sein: Ohne eine schon existierende Bereitschaft zur entsprechenden Pra-
xis wird man sich schwerlich von der täglichen Routine befreien.
Jaspers selbst erläutert seine Intention durch die Unterscheidung von zwei
Prognosearten (ebd., 191): „Betrachtende Prognose möchte wissen was wird,
ohne Einsatz des Denkenden. Erweckende Prognose spricht aus, was möglich
ist, weil der Wille durch diese Möglichkeit sich bestimmen läßt; sie dringt über
Betrachtung zum Entschluß.“ Jaspers’ unausgesprochener Anspruch, seine Exis-
tenzerhellung könne im Sinne einer erweckenden Prognose den Leser oder
Hörer zum gewünschten „Selbstsein in Freiheit“ motivieren, ist fraglos zu op-
timistisch.
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Exßten^erhellung ist vielmehr als Gegenmodell zu einer Essenzerhellung zu lesen,
nämlich als ein Appell, die in der Existenzerhellung letztlich denn doch allgemei-
nen Einsichten in einem unvertretbaren Selbst- und Eigensein zu entfalten.
Allerdings können Philosophen am Ende doch nur gnösis, Erkenntnis, leisten
und müssen aus diesem Grund die konkrete Praxis dem Einzelnen selbst über-
lassen. Für diesen Umstand, dass das anvisierte Ziel, der Vollzug der Praxis, zwar
intendiert, aber nicht realisiert werden kann, sind aus der Philosophiegeschichte
unterschiedliche Lösungsmuster bekannt:
In Platons scharfsinnigen Argumentationsdramen, „Dialoge“ genannt, wer-
den, was viele Nachahmer unterschlagen, nicht nur Sachbehauptungen, sondern
auch Personen geprüft. Denn für ein sachgerechtes Gespräch, so Platons unausge-
sprochene Voraussetzung, müssen die Teilnehmer schon über zwei positive Cha-
raktermerkmale verfügen, über Wohlwollen und Einsichtsbereitschaft. Auch nach
Aristoteles erreicht die Ethik ihr praktisches Ziel nur unter einer Vorgabe: dass
die Menschen in der Praxis, die die Philosophie untersucht, schon ziemlich fest
verankert zuhause sind.
Nach beiden Mustern gelingt der Philosophie keine primäre, sondern ledig-
lich eine sekundäre Praxisleistung. In Analogie zum hermeneutischen Vorverste-
hen braucht es eine Vörabdisposition. Kierkegaard wiederum bedient sich, hier
laut Jaspers (Die geistige Situation derZeit, 149), raffinierter literarischer Mittel, näm-
lich der „Technik der Pseudonyme“ und eines psychologischen Experimentierens.
Nietzsche wiederum schreibt, dies vor allem in seiner philosophischen Dichtung
Also sprach Zarathustra, eine seine Zeitgenossen aufwühlende und mitreißende
Prosa.
Nach Jaspers soll das „Existenzerhellung“ genannte Denken jene alternative
Lebensführung, die „das marklose Durchschnittsdasein“ überwindet, nicht zusätz-
lich, sondern schon in sich, intrinsisch, an die einschlägige Freiheit appellieren
und „das Sein dessen, der so denkt“ mit dem „appellierenden Denken“ „erwirken“
(Philosophie, 31956, 1320ff). Wenn man aber nicht über Nietzsches literarische
Pathosmacht verfügt, ist von bloßen Worten kaum zu erwarten, dass sie das Sich-
Herausreißen zustande bringen. Hier dürften Platon und Aristoteles realitätsnäher
gewesen sein: Ohne eine schon existierende Bereitschaft zur entsprechenden Pra-
xis wird man sich schwerlich von der täglichen Routine befreien.
Jaspers selbst erläutert seine Intention durch die Unterscheidung von zwei
Prognosearten (ebd., 191): „Betrachtende Prognose möchte wissen was wird,
ohne Einsatz des Denkenden. Erweckende Prognose spricht aus, was möglich
ist, weil der Wille durch diese Möglichkeit sich bestimmen läßt; sie dringt über
Betrachtung zum Entschluß.“ Jaspers’ unausgesprochener Anspruch, seine Exis-
tenzerhellung könne im Sinne einer erweckenden Prognose den Leser oder
Hörer zum gewünschten „Selbstsein in Freiheit“ motivieren, ist fraglos zu op-
timistisch.
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