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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2019
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I. Jahresfeier am 18. Mai 2019
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Höffe, Otfried: Karl Jaspers, ein europäischer Denker: Festvortrag
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0042
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I. Jahresfeier am 18. Mai 2019

zeitigkeit ... zu universell gerichtetem religiösem und philosophischem Suchen,
Fragen und Entscheiden. Sie entfalten von diesem Ausgangspunkt an seit Zoro-
aster, den jüdischen Propheten, den griechischen Philosophen, seit Buddha, La-
otse und Konfuzius in einem synchronischen Weltzeitalter diejenigen religiösen
und philosophischen Weltdeutungen und Haltungen, die, fort- und umgebildet,
zusammengefasst, neugeboren oder in gegenseitiger Beeinflussung transformiert
und reformiert, die weltreligiöse Glaubensmasse und die philosophische Deu-
tungsmasse der Menschheit bilden.“
Diese Diagnose könnte jeden Nachgeborenen, selbst ein Genie des Geistes,
kränken, wenn es ihm denn bewusst wäre: Schon damals, in Zeiten von „mensch-
lichen Grenzsituationen“ - wir lesen erneut diesen Grundbegriff von Jaspers -
treten die „äußersten Fragen“ auf, die man später nicht mehr erstmals, sondern
allenfalls, dann dank Ignoranz, neu erfinden kann. In dieser Achsenzeit findet sich
laut Jaspers eine globale Gemeinsamkeit: Der Mensch erkennt sich zum einen
in seiner ganzen Brüchigkeit, bringt aber zum anderen die Bilder und Gedanken
hervor, mit denen er trotzdem weiterzuleben vermag.
In den Jahren 800—200 v. Chr. werde nämlichjener Schritt ins Universale ge-
tan, durch den das mythische Zeitalter in seiner Ruhe und Selbstverständlichkeit
zu Ende ging. Diese grundlegende Veränderung des Menschseins beläuft sich auf
eine Vergeistigung, also die dritte Stufe von Jaspers’ Phänomenologie des Geistes:
Das unbefragte Innesein des Lebens, die Ruhe der Polaritäten weiche einer Un-
ruhe der Gegensätze und Antinomien. Infolgedessen sei der Mensch nicht mehr
in sich geschlossen, vielmehr, seiner selbst ungewiss, damit für neue, grenzenlose
Möglichkeiten aufgeschlossen.
Drei Einwände drängen sich hier auf: Erstens lebt Zarathustra lange vor der
Achsenzeit. Weil Jaspers, wie vor ihm Alfred Weber, die Griechen mit Altisrael und
Altiran einer einzigen Region zuordnet, spricht er zweitens von nur drei Kultur-
räumen: China, Indien und dem Abendland. Aus sachlichen Gründen empfiehlt
sich jedoch, die Griechen vom Vorderen Orient abzusetzen, denn nur für die Grie-
chen weicht der Mythos dem säkularen Logos, während für Altisrael ebenso wie
Altiran eine Erlösungsreligion typisch ist.
An diese kleineren Einwände schließt sich eine Prise grundlegender Skep-
sis an. Jaspers behauptet nämlich: „Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen,
desto ähnlicher werden wir einander. Als die drei - wegen ihrer regionalen und
sachlichen Unterscheidung von Israel und Griechenland, besser: vier - Welten
einander begegneten, konnten sie einander verstehen, denn in aller Verschieden-
heit hatte es sich um das Gleiche gehandelt, die Grundfragen des Menschseins.“
Im Gegensatz dazu erscheint eine bescheidenere Interpretation als sachgerechter:
Damals werden zwar gleicherweise menschliche Fundamentalfragen erörtert, die
Antworten fallen aber so grundlegend verschieden aus, dass auch die zugehörigen
Fundamentalfragen als unterschiedlich zu gelten haben. Jaspers selber räumt ein,

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