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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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A. Das akademische Jahr 2019
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I. Jahresfeier am 18. Mai 2019
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Höffe, Otfried: Karl Jaspers, ein europäischer Denker: Festvortrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0044
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I. Jahresfeier am 18. Mai 2019

Selbstüberschätzung - das Portrait des genannten Zizek. Unter den Begriffen wie-
derum ist die Linke mit Marxismus, Kommunismus, Sozialismus kräftig vertreten,
während der für Jaspers und für die große europäische Tradition so grundlegende
Gedanke der Freiheit mitsamt seinen Vordenkern unerwähnt bleibt.
Jaspers jedenfalls beginnt mit Homer, Äschylus, Sophokles, Euripides und
Phidias. Er erwähnt Platon, Aristoteles und Plotin, danach Virgil und Horaz, wei-
terhin Dante, Shakespeare und Goethe. Er vergisst weder Cervantes noch Racine
und Moliere, weder Leonardo und Raffael noch Michelangelo, Rembrandt und
Velasquez sowie als große Komponisten Bach, Mozart und Beethoven. Vor allem
tritt Europa nicht nur in diesen und weiteren überragenden Schriftstellern, Phi-
losophen, Künstlern und Musikern zutage, sondern auch in der Architektur und
dort nicht nur „in Domen und Palästen“, sondern wegen der unendlich vielen
Kriege auch „in Ruinen“. Trotz der zahllosen Kriege und trotz des damals erst
kürzlich beendeten Zweiten Weltkriegs stellt Jaspers schließlich eine optimistische
Bilanz auf: Europa bestehe in einem „unermeßlichen Reichtum des Geistes, der
Sittlichkeit, des Glaubens“.
Jaspers’ „Botschaft“ für Europa besteht aus drei bei ihm ineinander greifenden
Leitzielen. Für die Freiheit, bei der er ansetzt, könnte man von ihm, einem Fun-
damentalphilosophen, eine spekulative Definition erwarten. Tatsächlich beginnt
er pragmatisch, nämlich mit einer für unseren Kontinent typischen, vielerlei Be-
sonderheiten erklärenden Funktion: „Freiheit hält den Europäer in Unruhe und
Bewegung.“
Beim dritten Leitziel - wir überspringen die Geschichte - wandelt Jaspers das
neutestamentliche Wort, „die Wahrheit wird euch frei machen“ (Job. 8, 32), ab und
erklärt, Wissen mache frei. Das schließt für ihn die Herrschaft über Naturkräfte und
die Medizin ein. Wie von einem Existenzphilosophen zu erwarten, hält er jedoch ein
anderes Freiheitsphänomen für entschieden wichtiger: die innere Freiheit.
Für seine zweite Frage, wo Europa in der veränderten Welt stehe, schlägt Jas-
pers gegenüber Oswald Spenglers damaligem Best- und Longseller Der Untergang des
Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte (1918—1922) eine Alternative
vor. Nicht Untergang sei für den Okzident charakteristisch, sondern eine Krise, die
wie Geburtswehen eine neue Gestalt ankündige, die man mit Haltungen der Be-
klommenheit, Geduld und einer illusionslosen Bescheidenheit zu erwarten habe.
Bei seinem dritten Thema, den „Bausteinen eines konstruktiven Entwurfs“,
ist der Philosoph erneut verhalten optimistisch: „Der Geist, der Wissenschaft und
Technik hervorgebracht hat, muß in sich bergen, was das Geschaffene wieder in
seine Ordnung bringt.“ Denn: „Jedes Volk muß mit Technik und deren Folgen
zurechtkommen oder aussterben. Ausweichen gibt es nicht.“ Für das Zurecht-
kommen mit der Technik schlägt Jaspers unter anderem eine Weitordnung vor. Im
Gegensatz zur illegitimen Gestalt, einem Weitimperium, das „von einem Orte der
Erde her alle bezwingt“, besteht das legitime Modell, eben die Weitordnung, aus

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