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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2019
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I. Jahresfeier am 18. Mai 2019
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Höffe, Otfried: Karl Jaspers, ein europäischer Denker: Festvortrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0045
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Festvortrag von Otfried Höffe

einer „Einheit ohne Einheitsgewalt außer der, die aus dem Verhandeln in gemein-
samen Beschluß hervorgeht“.
Dieser Vorschlag scheint auf eine Kommunikationstheorie von Recht und
Staat zuzulaufen. Denn unter Verzicht der Mächtigen auf Souveränität, wie Jaspers
erläutert, beuge man sich „unter die Vernunft des Miteinanderredens“. Der Zusatz
„mit bedingungsloser Geltung der Rechtsidee“ unterwirft jedoch ein bloßes Mitei-
nanderdebattieren einer sozial verbindlichen Vorgabe, womit Jaspers das eiwähnte,
gegen Habermas gerichtete Monitum „Präjudizen des Diskurses“ unterläuft. Ein
Rechts- und Staatsphilosoph vermisst allerdings den zur Rechtsidee gehörenden
Gedanken der Zwangsbefugnis. Wo sie fehlt, droht ein (bloßes) Miteinanderreden,
womit dann doch ein Gedanke der Kritischen Theorie sich durchzusetzen würde,
die Herrschaftsfreiheit statt einer gerechten, weil einem legitimen Recht verpflich-
teten Herrschaft. Des näheren gehören zwei für Jaspers wichtige Gedanken, die
Solidarität und die Liebe, nicht zu dem, was Rechtsgenossen gegeneinander ein-
fordern dürfen. Nach ihrem moral- und rechtstheoretischen Ort zählen sie nicht
zu dem, was die Menschen einander schulden, sondern sind Teil der verdienstli-
chen Mehrleistungen.
In einer anderen Hinsicht freilich überzeugt Jaspers: Die heutige Ethik pflegt
sich auf die Sozialethik zu verkürzen. Denn sie kennt in der Regel nur Pflichten
gegen andere, womit Pflichten gegen sich ausgeschlossen sind. Jaspers hingegen
sieht für die zu schaffende Weltordnung den „Grund im kleinsten“: Jeder Einzelne
müsse sich bewusst sein, „daß es gerade auf ihn ankomme“. Danach formuliert
er, ohne den Ausdruck zu verwenden, einen neuartigen kategorischen Imperativ.
Man kann ihn versuchsweise den „existenzphilosophischen Imperativ“ nennen; er
schließt ein visionäres politisches Denken ein: Handle so, als ob die Grundsätze
deines Handelns die Grundsätze einer noch hervorzubringenden Welt sind. Statt
als „bloßer Zuschauer und gehorsamer Mitläufer“ verantwortungslos zu sein, wir-
ke man durch das, was man ist und tut, „am Gang der Dinge mit“.
Am Ende seiner Überlegungen zum europäischen, in der Sache auch kosmo-
politischen Geist fordert Jaspers zu einem Verzicht auf: Im Gegensatz zum Ideal
des Stoikers solle man nicht auf ein „gültiges Menschenbild“ vertrauen. Juristen
könnten hier an die sogenannte weltanschauliche Neutralität des Grundgesetzes
denken, Rechts- und Staatsphilosophen eher an John Rawls’ Idee des politischen
Liberalismus, Politikwissenschaftler schließlich an den zeitgenössischen Pluralis-
mus. Jaspers selber spricht von einem offenen „Menschenweg“. Dieser unterwirft
sich drei Ansprüchen, die, für einen Existenzphilosophen erstaunlich, eine visio-
näre Botschaft mit einem lebenserfahrenen Pragmatismus verbinden:
„1. Grenzenlose Kommunikation vom Mensch zu Mensch, aus deren heben-
dem Kampf Wahrheit hervorgeht, bis hinab zum redlichen Sichvertragen in Kom-
promissen des Daseins.“ - „2. Herr unserer Gedanken werden, uns keiner Gestalt
abschließenden Wissens unterwerfen.“ - „3. Die Liebe zwar als letzte Führung an-

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