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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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A. Das akademische Jahr 2019
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III. Veranstaltungen
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Halfwassen, Jens: Laudatio auf Rudolf G. Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0146
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III. Veranstaltungen

geistig ebenbürtige Erscheinungen zu würdigen und „auf Augenhöhe“ mitein-
ander in ein „Gespräch der Geister“ zu bringen. Philosophie ist also für Jaspers
- deutlich anders als etwa für Martin Heidegger oder seinen Schüler Hans-Georg
Gadamer, für die es sie nur im Horizont der Griechen geben kann - keine ex-
klusiv europäische Angelegenheit, sondern von allem Anfang an universal und
global - das war sie übrigens auch schon für Hegel, der die chinesische Philo-
sophie in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie als den Anfang des
menschlichen Denkens würdigte. Die indische und die chinesische Philosophie
sind für Jaspers der europäischen, die mit den Griechen beginnt, ebenbürtig. Die
Gleichrangigkeit der drei autochthonen Philosophie-Traditionen, die unabhän-
gig voneinander entstanden sind und sich - jedenfalls in ihren jeweiligen klassi-
schen Ausprägungen - auch unabhängig voneinander entwickelt haben, gründet
für Karl Jaspers vor allem darin, dass sie alle in der Lage sind, eine „Verwandlung
unseres Selbstbewusstseins“ herbeizuführen, die für Jaspers’ existenzphilosophi-
sches Verständnis von Philosophie das Ziel und die eigentliche Aufgabe des Phi-
losophierens ausmacht. Eine existentielle „Verwandlung unseres Selbstbewusst-
seins“ aber vermag die Philosophie dann zu bewirken, wenn sie Metaphysik ist.
Philosophie ist darum für Jaspers im Kern Metaphysik - und die indische wie
die chinesische Philosophie haben ebenso wie die griechische eigene klassische
Gestalten von Metaphysik ausgebildet, in denen sie sich vollenden und die die
Kraft haben, das Selbstverständnis des Menschen und sein Weltverständnis inner-
lich umzuwenden. Von einer solchen innerlichen Umwendung sprach schon Pla-
ton, der in seinem berühmten „Höhlengleichnis“ die philosophische Bildung als
„Umwendung der ganzen Seele“ (periagoge holes tes psyches) bestimmte. Aufgrund
dieser existentiellen Dimension ist die Metaphysik für Jaspers wie schon für Pla-
ton immer zugleich mehr als bloße Theorie, sondern sie gewinnt als Lebensform
praktische Bedeutung. Für Jaspers sind es die großen Philosophen, die für diese
existentiell umwendende und lebensformende Kraft der Philosophie stehen und
denen die Philosophie diese Kraft verdankt. In dem 1957 erschienen ersten Band
Die großen Philosophen - dem einzigen, den Jaspers zu Lebzeiten publizieren konn-
te, teilt Jaspers die großen Philosophen in drei Gruppen ein: dies sind Die maßge-
benden Menschen - die großen Umwender der menschlichen Seele, deren Denken
weltgeschichtlich wirksam ganze Kulturen prägt: Sokrates - Buddha - Konfuzius
-Jesus, drei Asiaten und ein Europäer. Sodann Die fortzeugenden Gründer des Phi-
losophierens sowie Die aus dem Ursprung denkenden Metaphysiker. Die drei „fortzeu-
genden Gründer des Philosophierens“ sind für Jaspers Platon, der Begründer der
Metaphysik, Augustinus, der Begründer eines sich aus dem religiösen Glauben
speisenden Philosophierens und Kant als der Begründer der kritischen und tran-
szendentalen Philosophie. Philosophiehistorisch eigentlich am interessantesten
aber sind die „aus dem Ursprung denkenden Metaphysiker“, die Heroen der
Metaphysik. Zu ihnen rechnet Jaspers die griechischen Denker Anaximander,

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