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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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A. Das akademische Jahr 2019
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III. Veranstaltungen
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Mittler, Barbara: Rudolf G. Wagner: ein Leben mit der Sinologie
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0151
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Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2019

Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen,
am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget
und aus den Wiesen steiget,
der weisse Nebel wunderbar.

Der Mond ist kein schlechter Ort, jedenfalls nicht für einen Sinologen, der die
chinesische Vorstellungswelt kennt: In China beherbergt der Mond den müh-se-
ligen alten Mann, der - der Mühe selig - nie aufhört zu arbeiten. Bei ihm findet
sich noch ein Zimtbaum und ein Kaninchen, das - als nützlicher Helfer - aus
dem Zimtbaum das Elixier des langen Lebens mahlt. Der weiß scheinende Mond
wird auchJunzi zhiguang (das Licht des weisen Mannes) genannt: Er ist
Zeichen eines reinen und schönen Geistes. Kein Wunder: Unter dem Schein des
Mondes erlangt der Buddha seine Erleuchtung. Das Licht des Mondes, im Wasser
reflektiert — Vielheit in der Einheit-begleitet alle Menschen gleichermaßen, auch
auf ihren längsten Reisen. Zum Mond zu schauen, hilft in China den Menschen,
Raum und Zeit zu überwinden - gute Freunde, und Liebende, die fern voneinan-
der weilen, betrachten deswegen gemeinsam den Mond und finden so zueinander.
Viele chinesische Gelehrte und Künstler haben dieses Gefühl beschrieben, so Li
Bai (701 — 762), einer der bedeutendsten Dichter der Tang-Zeit, im 8. Jahrhundert,
im Deutschen in einer Nachdichtung von Hans Bethge:
Jingyesi
lTdnOJ M chuäng qiän rmng yue guäng
I -ffi yf shi di shäng shuäng
IM jü töu wäng mi'ng yue
di töu si güxiäng

Gedanken in stiller Nacht
In fremdem Lande lag ich. Weißen Glanz
malte der Mond vor meiner Lagerstätte.
Ich hob das Haupt - ich meinte erst, es sei
der Reif der Frühe, was ich schimmern sah,
dann aber fühlte ich: der Mond, der Mond!
und neigte das Gesicht zur Erde hin,
und meine Heimat winkte mir von ferne.

Rudolf Georg Wagner war ein weiser Mann, der nie aufgehört hat zu arbeiten - bis
zu seinem letzten Tag. Sein größter Kummer in den letzten Wochen war es, dass
er so schnell müde wurde, und also nicht mehr wirklich viel lesen und arbeiten
konnte, weil ihn diese Mühe, die Arbeit, wahrlich selig zu machen schien. Er war
ein weiser Mann, der die Menschen begleitete, wie weit sie auch reisten, auch

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