III. Veranstaltungen
Zweitens schien er uns völlig frei von Arroganz und Selbstauratisierung.
Hierarchien schien er nicht zu kennen, er achtete nicht auf Status, sondern auf
Fähigkeiten und Anregungen. Drittens verkörperte er geradezu das Prinzip der
Transdisziplinarität, an dem wir damals arbeiteten. Sein Interesse gegenüber den
Erfahrungen, Fragen, Ergebnissen und Ideen, die aus anderen Fächern kommen,
war unersättlich, ebenso seine Neugier auf Themen, Fragestellungen und Kon-
zepte aller Art. Durch seine ausgezeichneten transatlantischen Kontakte konnte er
uns meist mit einem erheblichen zeitlichen Vorsprung informieren und wichtige
Anregungen in den Heidelberger Diskussionen einbringen. Die von Rudolf Wag-
ner inspirierten Synergie-Effekte waren enorm. So entwickelte sich zum Beispiel
damals eine enge Zusammenarbeit zwischen Sinologen und Assyriologen zum
Thema Kommentar, und auch wir waren davon so inspiriert, das wir mit ihm eine
Tagung über Text und Kommentar in der Reimers-Stiftung veranstalteten. Sein
Nachdenken über kulturelle Rahmenbedingungen und ihre historischen Ver-
schiebungen bewegte sich in einem wirklich globalen Horizont.
Ganz unvergesslich und aktuell nach 30 Jahren ist die Veranstaltung, die er
mit einem Mitarbeiter (oder war es eine Mitarbeiterin?) 1989 nach dem Anschlag
auf dem Tiananmen Platz an der Uni (wenn ich recht erinnere im Hörsaal 13) ge-
macht hat. Diese Präsentation in einer großen Öffentlichkeit war ein Höhepunkt
der Universitätsgeschichte und für uns mindestens so wichtig wie der Auftritt von
Gadamer und Derrida. Da erlebten wir Rudolf Wagner von einer neuen Seite,
nicht nur als Forscher und brillanten Kenner des alten, neuen und aktuellen Chi-
na, sondern auch als tief getroffenen Zeitzeugen der Entfesselung von Gewalt an
diesem symbolischen Ort. Es war ein bisschen wie 1968, nur dass nun die Seiten
gewechselt hatten.
Rudolf G. Wagner war ein faszinierender Diskussionspartner und charismati-
scher Vortragender, ein überaus großzügiger Lehrer und Kollege und ein mutiger
Wissenschaftler. In Wiesbaden geboren, studierte er Sinologie, Japanologie, Po-
litikwissenschaft und Philosophie in Bonn, Heidelberg, München und Paris. Er
verband ein leidenschaftliches Engagement in der aktuellen Politik - Rudolf war
ein durchaus streitbarer, ja gefürchteter Maoist - mit Forschung zum klassischen
China: 1969 wurde er in München mit einer Arbeit zur Transformation des Bud-
dhismus promoviert. 1981 habilitierte er sich in Berlin mit der von Jens Halfwas-
sen schon ausführlich diskutierten, in drei Bänden publizierten Schrift, die dem
berühmtesten (und exzentrischsten) unter den chinesischen Kommentatoren des
Laozi, Wang Bi (226—249), gewidmet ist.
Aus einer Reihe von Forschungsaufenthalten an den besten Universitäten
in den USA (u. a. in Harvard, Berkeley, Cornell) entstanden Monographien zur
Taiping Rebellion (1984) zum Historischen Drama (1990) und zur modernen
chinesischen Literatur (1992), gefolgt von einflussreichen Sammlungen zur frühen
chinesischen Presse (2007), und zu chinesischen Enzyklopädien (2014). Im Druck
156
Zweitens schien er uns völlig frei von Arroganz und Selbstauratisierung.
Hierarchien schien er nicht zu kennen, er achtete nicht auf Status, sondern auf
Fähigkeiten und Anregungen. Drittens verkörperte er geradezu das Prinzip der
Transdisziplinarität, an dem wir damals arbeiteten. Sein Interesse gegenüber den
Erfahrungen, Fragen, Ergebnissen und Ideen, die aus anderen Fächern kommen,
war unersättlich, ebenso seine Neugier auf Themen, Fragestellungen und Kon-
zepte aller Art. Durch seine ausgezeichneten transatlantischen Kontakte konnte er
uns meist mit einem erheblichen zeitlichen Vorsprung informieren und wichtige
Anregungen in den Heidelberger Diskussionen einbringen. Die von Rudolf Wag-
ner inspirierten Synergie-Effekte waren enorm. So entwickelte sich zum Beispiel
damals eine enge Zusammenarbeit zwischen Sinologen und Assyriologen zum
Thema Kommentar, und auch wir waren davon so inspiriert, das wir mit ihm eine
Tagung über Text und Kommentar in der Reimers-Stiftung veranstalteten. Sein
Nachdenken über kulturelle Rahmenbedingungen und ihre historischen Ver-
schiebungen bewegte sich in einem wirklich globalen Horizont.
Ganz unvergesslich und aktuell nach 30 Jahren ist die Veranstaltung, die er
mit einem Mitarbeiter (oder war es eine Mitarbeiterin?) 1989 nach dem Anschlag
auf dem Tiananmen Platz an der Uni (wenn ich recht erinnere im Hörsaal 13) ge-
macht hat. Diese Präsentation in einer großen Öffentlichkeit war ein Höhepunkt
der Universitätsgeschichte und für uns mindestens so wichtig wie der Auftritt von
Gadamer und Derrida. Da erlebten wir Rudolf Wagner von einer neuen Seite,
nicht nur als Forscher und brillanten Kenner des alten, neuen und aktuellen Chi-
na, sondern auch als tief getroffenen Zeitzeugen der Entfesselung von Gewalt an
diesem symbolischen Ort. Es war ein bisschen wie 1968, nur dass nun die Seiten
gewechselt hatten.
Rudolf G. Wagner war ein faszinierender Diskussionspartner und charismati-
scher Vortragender, ein überaus großzügiger Lehrer und Kollege und ein mutiger
Wissenschaftler. In Wiesbaden geboren, studierte er Sinologie, Japanologie, Po-
litikwissenschaft und Philosophie in Bonn, Heidelberg, München und Paris. Er
verband ein leidenschaftliches Engagement in der aktuellen Politik - Rudolf war
ein durchaus streitbarer, ja gefürchteter Maoist - mit Forschung zum klassischen
China: 1969 wurde er in München mit einer Arbeit zur Transformation des Bud-
dhismus promoviert. 1981 habilitierte er sich in Berlin mit der von Jens Halfwas-
sen schon ausführlich diskutierten, in drei Bänden publizierten Schrift, die dem
berühmtesten (und exzentrischsten) unter den chinesischen Kommentatoren des
Laozi, Wang Bi (226—249), gewidmet ist.
Aus einer Reihe von Forschungsaufenthalten an den besten Universitäten
in den USA (u. a. in Harvard, Berkeley, Cornell) entstanden Monographien zur
Taiping Rebellion (1984) zum Historischen Drama (1990) und zur modernen
chinesischen Literatur (1992), gefolgt von einflussreichen Sammlungen zur frühen
chinesischen Presse (2007), und zu chinesischen Enzyklopädien (2014). Im Druck
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